Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Die kristallenen Berge in der klaren, klaren Luft und Marmorgötter unter dunkeln Lorbeerhecken, und die tönenden Nächte, wenn tausend rubinrote Rosen blühen und der Duft der Orangen schwer über die feuchte Erde zieht und die Oliven im Mondschein zittern, so weiß — so weiß … Und dann die Städte: die rosengoldene Stadt der Madonna, stolz und weh in ihrer abendlichen Schönheit, und das blühende Florenz, so hell und glänzend mit dem Duft des paradiesischen Flors. Und das tote Ravenna, selbst wie der Tod dort unten — still, wehmütig und verschämt und doch über alles Sagen schön. Ach, und die gleißende, unergründlich süße Königin des Meeres mit ihrem Zauberkleid aus Gold und Spitzen und der dunkeln, feuchten, lockenden Stimme — und all die andern — so hoch — so stolz und schön — schön …“
Anna lauschte mit gehaltenem Atem, und Giulio erzählte weiter von der Kunst: „Herr Werner, gewiß, er ist ein tüchtiger Mann und ehrenwerter Künstler. Aber so das ganz Große, das Bezaubernde? Ach, Sorellina, Miniaturen, Silberpinselchen und Elfenbeintäfelchen, wo wollen da die großen Gedanken Platz haben und die Gefühle, für die eine Welt zu eng? Den Tizian solltet Ihr sehen und seine Glut und Kraft, und Michelangelos wütende Herrlichkeit … Ach, Sorellina, Miniaturen, so brav, so glatt, so aufgeputzt! Und den großen Correggio! Was sind Herrn Werners Kopien mit den schweren und dünnen Farben, die er aus Frankfurt und Paris mitgebracht? Den Correggio solltet Ihr sehen. Seine Danae, grün und golden wie ein Marmorberg im letzten Abendlicht, kühl und doch voll Glut. Euer Bildnis möchte ich wohl in solche Töne bringen. Wann es mir nur gelingt! Ihr habt so etwas Goldenes an Euch, aber nicht Tizians heißes schwüles Gold, sondern des Correggio kühle Glut. So möchte ich Euch malen, so wie jetzt, wo der erste zage Mond über Euer schwer Goldhaar geht. Ach, Sorellina, wie jetzt, mit der Glut in den dunkeln Augen, und der Mund schmal und kühl und doch rot — so rot! Schöne, kalte, glühende Sorellina …“
Anna raffte sich auf, wie erwacht aus einem Traum. Nun sprach er von ihr. Nun war er nicht mehr der Zauberer mit dem güldenen Wunderstab; nun war er wieder der Kavalier, nicht besser als die dort drüben. Immer die gleiche kleine Enttäuschung am Schluß. Sie blickte um sich. Wie hatte sich alles verändert! Die Reihen der Menschen waren wohl dünner geworden, aber die tiefen Schatten ballten alles zu dunkeln Massen zusammen. Nur wo der Mond hinzündete, noch etwas zart, sah man immer noch dasselbe bewegte Leben, aber blasser, geheimer und flüsternder. Und die Lindenblüten ganz hell und so duftend …
Aus dem Pavillon neben Anna wurde Geflüster vernehmbar im merkwürdigen Zweitakt einer schier ängstlichen Frauenstimme und eines gutmütigen Brummbasses. Plötzlich wurde es still — und dann ein kleiner Schrei, ganz hoch und halb unterdrückt — und dann ein doppelstimmiges Gekicher …
Anna fuhr zusammen. „Wir müssen heim, Giulio,“ sagte sie streng und unter einem Schauder.
Aber der andere lachte: „So klug ist die Sorellina, so reif, weit über alle andern hinaus und in manchem noch solch ein Kind! Glaubt Ihr, daß dies hier viel verschieden von dem, was die Fräulein dort drüben tun? Bälle werfen sie sich zu und meinen doch etwas anderes. Die hier sind doch ehrlich.“
„Pfui, Giulio, wann Ihr so redet, dann mögt Ihr mich nicht länger Sorellina nennen. Wie könnt Ihr, wann Ihr wißt, daß Sibylla dabei?“
Er lächelte ein wenig spöttisch, daß die weißen Zähne unangenehm zwischen den Lippen hervorglänzten: „Sibylla — eine kleine rosenrote Nelke, die ihren Duft allzu stark und allzu schnell hergibt!“
Anna ballte die schmalen Hände vor Entrüstung; aber sie mußte ihre Verteidigung unterdrücken, denn eben traten aus dem Lindenschatten Sibylla und Christoph zu ihnen herüber.
„Wir haben euch lange gesucht,“ sagte das Mädchen hastig und mit einem merkwürdigen Flackern in den großen Augen. „Drüben haben sie uns nicht weggelassen, und nun wart ihr nicht zu finden!“
„Wir wollten eben heimgehen,“ entgegnete Anna, die bei Sibyllas Anblick im Gedanken an Giulios unfreundliche Worte leicht errötet war.
„O ja, natürlich, jetzt, wo wir kommen; wir stören euch wohl!“
Betroffen blickte Anna zu ihrer Freundin auf. Was war das für ein seltsamer Ton in Sibyllas sonst so sanfter Stimme? Bitter, fast feindlich. „Nein, Sibylla,“
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