Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
Kavaliersallüren nach links und rechts; dann aber eilte er fröhlichen Schrittes auf einen langen Herrn zu, der ihm freundschaftlich die Hände entgegenstreckte.
„ Voyons, voyons, “ rief dieser entzückt, „die ganze liebe Malergilde!“ Er drückte Werner die Hand, verbeugte sich mit einem Anflug von Galanterie, die den schlanken Vierziger wohl kleidete, vor Anna und nickte dann vertraulich zu den drei andern hinüber, eine intimere Begrüßung seinem jungen Sohne überlassend, der sich auch alsobald linkisch und strahlend an Sibyllas Seite drängte. Dieser hatte des Vaters lange Statur, aber dabei etwas Weiches und Weißliches, wie so ein Wurm, der aus einer Birne kommt. Während nun das Jungvolk, von allen Seiten angesprochen, nach dem Mittelgang zwischen den Linden strebte, wo vornehmlich die elegante Jugend sich vergnügte, wurde Anna von den beiden Herren in den ersten Weg neben dem Münster mitgenommen, allwo zumeist die ernsten und vornehmen Leute, Geistliche und Staatspersonen, sich mit viel Würde ergingen.
Etwas verwirrt sah sie sich in der ungewohnten Umgebung um. Sie kam sich wie verpflanzt vor zwischen diesen dunkeln behäbigen Gestalten mit den mächtigen Mühlsteinkragen, die bisweilen die Köpfe vom Körper loszutrennen und wie auf einem großen Teller darzubieten schienen, zwischen den blitzenden Degen und würdevollen Gebärden rings, und ihre leichten Füße fügten sich ungern dem strengen Takt der feierlich gehobenen Schnallenschuhe, und wann hier und da vom Spaziergang der Jungen ein fröhliches Lachen herübersickerte, gab es ihr zuerst allemal einen kleinen Stich, und ihre Augen gingen unwillkürlich dorthin, wo die Linden ihren stärksten Duft zusammendrängten und wo die Abendsonne die hellsten Farben aufleuchten ließ. Dann aber nahmen die lebhaften Gespräche der beiden Herren ihre Gedanken gewaltsam mit sich fort, und besonders war es ihr Begleiter zur Linken, Andreas Morell, der ihre Vorstellungen aufs köstlichste zu leiten wußte. Er erzählte von seinen antiken Münzschätzen, die er anderntags Anna zu eröffnen gedachte, und dabei kam ein solcher Zauber in seine Worte und ein solcher Glanz verbreitete sich auf dem frischen Gesicht, das der gestreckte Hals aus dem reichgestickten Kragen wie einen langstieligen Sommerapfel heraushob, daß man sich unter griechischen Münzen etwas ganz Wundervolles und unvergleichlich Herrliches vorstellen mußte.
Anna lauschte mit gehaltenem Atem, und wie immer, wann sie eine neue Pforte ihrer Erkenntnis sich öffnen sah, bemächtigte sich ihrer eine heiße herzklopfende Freude. Sie war deshalb fast verstimmt, als Giulio unter dem Vorwand, die Jugend verlange ihr Recht und man könne es nicht länger mitansehen, wie das feine Meislein im Rabennest gefangen gehalten werde, sie mit der lachenden Erlaubnis der beiden Herren zu den andern hinüberholte.
Eine bunte Welle nahm sie dort auf und deckte ihre lebhaften Phantasien mit leichten und prickelnden Bildern zu, die ihr immer wieder, wie oft sie sie auch gesehen, neu und fremdartig erschienen. Das waren nicht die sittigen und ein wenig steifvergnügten Spaziergänge, wie man sie daheim in Zürich an solchen warmen Sommerabenden unter dem breiten Blätterdach des Lindenhofes oder in dem lieblichen Winkel zwischen Limmat und Sihl pflegte, wo das Rauschen der beiden ungleichen Flüsse einen so angenehmen kühlen Ton gab. Nein, es war, als ob hier etwas Besonderes in der Luft läge, etwas Schimmerndes und Schillerndes, etwas Verborgenes und Verführerisches, daß man unwillkürlich zu den blühenden Ästen hinaufblickte, ob dort nicht die kleinen Liebeskinder, die Herr Werner so gern auf seinen Gemälden anbrachte, mit Pfeil und Bogen ein gefährliches Spiel trieben. Kam es von den duftenden Gewändern des jungen Frauenzimmers her, das es so gut verstand, die strengsten Kleidermandate mit der vorteilhaftesten Tracht zu verbinden? Oder von den leuchtenden Augen, die so kokette Blicke zu werfen wußten, oder von den anmutigen, französisch verwirkten Reden, die so lustig über die roten Lippen plätscherten, oder waren die Kavaliere schuld daran, die wie Schmetterlinge über einem Blumenbeet durch den farbigen Flor flatterten und es darauf anlegten, den Dämchen mit artigen Reden das Blut in die leicht gepuderten Wangen zu treiben?
Schweigsam ging Anna neben Giulio durch den bunten Schwarm, von einigen begrüßt, von vielen neugierig und unter vielsagendem Geflüster betrachtet. Am oberen Ende der
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