Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
hätte — Und nun alles dahin …“
Anna suchte neuerdings zu widersprechen: „Das kam nicht von mir, Meister; wie hätt’ ich ihm Gutes tun können, weilen ich doch selbst nichts davon weiß? Giulio ist reifer geworden, auch in Florenz wird er nun anders sein.“ Aber Herr Werner lächelte. Er nahm Annas Hand und streichelte sie schier zart. „Denkt Ihr noch an den ersten Abend, liebe Waserin, und was ich Euch sagte, da wir über den Namen des schönsten Berges diskurierten? Eine reine Jungfrau mit dem Willen nach oben, die kann wohl die höchste Höhe erreichen, heut aber sag’ ich: sie kann noch mehr, sie kann auch andere heraufziehen. Und wenn Ihr das nicht versteht, tut’s nichts, wenn Ihr nur so fortfahrt. Übrigens, wo habt Ihr Giulios Brief?“
Anna, die verwirrt und errötend dagestanden, errötete noch tiefer: „Ich habe ihn Sibylla gegeben, sie bat mich darum; sie versteht ihn nicht ganz, nur die Stelle, die von ihr spricht, hab’ ich ihr übersetzt, es hat sie gefreut.“
Herr Werner runzelte die Stirn: „Ob das klug war?“ Aber seine Frau wiegte wehmütig den Kopf: „Wohl war es gut, ein Honigtropfen in all die Bitternis. Es leidet nun arg, das arm Kind; aber ich kenn’ mein Sibyllchen, man muß es machen lassen; wann’s erst die ganze Süßigkeit des jungen Grams durchgekostet hat, wird’s auch wieder froh werden. So was gehört nun mal zum Leben und Reifwerden. Du, Anna,“ fuhr sie fort und strich dem Mädchen über das goldbraune Haar, „wirst freilich helfen müssen. Du bist mir ein großer Trost. Sieh, die Mutter — das ist in solchen Dingen nicht das Wahre — wann sie sich bei dir ausweinen kann, dann geht’s noch einmal so schnell vorüber.“
Anna reichte Frau Werner die Hand: „Ich will das Mögliche tun, daß Ihr Eure Sibylla wieder fröhlich habt. Nun gehe ich hinauf und bringe ihr Giulios Laute, das wird sie freuen.“
Frau Werner sah ihr kopfschüttelnd nach: „Da hab’ ich gemeint, ich müss’ dem Mädchen Wärme geben und Freudigkeit, und nun ist sie es, die mit ihren kühlen Fingern meines Kindes sehres Herzchen wieder heilt … Aber wenn die mal die Kühle verläßt, so leicht wird man sie nicht zurechtbringen.“
„Red mir nicht davon,“ warf Herr Werner ärgerlich ein, „die Waserin ist nun mal aus anderem Holz; ihr Frauen könnt das eben nicht begreifen.“
Da gab Frau Werner ihrem Eheherrn einen leichten Klaps auf die Wange: „Lehr du mich die Mädel kennen, du Heißsporn, du ewig Allzujunger!“
Als Anna ihre Freundin verließ, war ihr etwas tröstlicher zumute, hatte doch unter Sibyllas reichlichen Tränen schon wieder ein erstes zages Lächeln aufgeblitzt bei Annas Versprechen, ihr Giulios Bild zu malen in feinster Miniatur, nach einer früheren Skizze. Unterwegs holte sie von Giulios Staffelei ihr unvollendetes Bildnis und trug es in ihr Stübchen. Als sie aber die Kammertüre öffnete, zeigte sich ihr ein sonderbarer Anblick; sie hatte seit dem frühen Morgen das Gemach nicht mehr betreten, nun war der aufgeblühte Mohn über Tag verblättert und hatte Tisch und Boden rot überflutet; das sah fast seltsam aus, wie Blut, das in großen heißen Tropfen niedergefallen war und zuletzt in einer Lache zusammengeflossen. Es war der Mohn, den sie noch unter Giulios verborgenen Augen gepflückt hatte; damalen waren es kleine graue Knospen, und nun schon verblutet … Wie schnell es ging … Und Giulios Schicksal, wann würde es sich entscheiden?
Sie suchte ihr Bildnis irgendwo aufzuhängen. An einem Nagel über der Bank hielt es fest. Sie stellte sich davor und betrachtete es: wie herrlich es gemalt war im grüngoldenen Schimmer der schmelzenden Töne und wie nahe der Vollendung! Nur die Augen und der Mund waren noch im Unbestimmten.
„Eure Augen,“ hatte er gesagt, „muß ich an einem schönen frischen Tag malen, wann ich ein ganz reiner und guter Mensch bin, und Euren Mund, wann die Sorellina eine fröhliche Stunde hat und der Übermut um ein weniges in ihre Heiligkeit fährt, damit die Oberlippe nicht gar zu schmal und herb erscheint.“ Ja, und nun war es vorbei, zu Ende gegangen.
Ob das Bild wohl immer so bleiben mußte, so trostlos unvollendet? Die Augen verschleiert, bleich, fast schreckhaft, wie etwas Totes in dem lebendigen Gesicht mit den hellen, rosig überspielten Wangen und der plastisch gefügten Stirn unter dem flockigen Haar mit den sprühenden Lichtern, und der Mund so blaß, so unsicher, wie vom Weinen verzogen.
Es war
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