Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)
nahm die frohe Botschaft merkwürdig unbewegt, fast düster auf, sodaß Herr Werner ihn ärgerlich anfuhr: „Seh einer den Sauergrauer! Nicht mal freuen kann er sich; kein Wunder, daß der lieber mit Ätznadel und Säure ficht denn mit den trauten Farben, sodaß er bald Finger hat wie ein alt Waschweib, so runzlig und zerfressen von all der Pröbelei.“
Lukas rieb die breiten Hände mit der von den Ätzwassern zusammengezogenen weißen Haut aneinander, bis sie mählich warm und rot wurden. „Wenn der Giulio frei ist und heil, will ich mich freuen, jetzo scheint’s mir noch um etwas verfrüht.“
„A bah, Unglücksvogel, was kommst mit deinem Gekrächz in unsere Fröhlichkeit!“ Herr Werner wandte sich unwillig ab und griff nach einem der Becher, die Frau Susanna inzwischen gefüllt hatte: „Auf den Giulio, den Herzbuben!“ Es gab ein lustiges Zusammentönen, und schnell war eine warme und laute Fröhlichkeit im Gang.
Anna zog sich in die kleine Ecke neben dem gestuften türkisfarbenen Kachelofen zurück. Sie fröstelte ein wenig, und die letzte verstrahlende Wärme des blauen Kolosses tat ihr wohl. Von ihrem stillen Plätzchen aus betrachtete sie die fröhliche Gesellschaft. Herr Werner hatte alle Feierlichkeit von sich abgelegt. Wie ein Junger sah er aus, übermütig und sprühend von lustigen Worten und absonderlichen Einfällen, die jedesmal ein überlautes Lachen entfesselten und wohl auch ein vergnügliches Kopfschütteln bei Frau Susanne, die, ungeachtet aller Festlichkeit, ihr Spinnrad schnurren ließ. Und Sibylla, leuchtend und aufgeregt mit einem Glanz in den Augen, wie man ihn lange nicht mehr an ihr gesehen hatte, und schier glühend das Rot der Wangen, unnatürlich, wie fiebrig; sie sah reizend aus, und der Waadtländer sagte es ihr mit Worten und Blicken, die sie lachend aufnahm, ein wenig kokett, daß Anna sie verwundert betrachtete. Auch Christoph sonnte sich an der Fröhlichkeit seines Vaters, und der lahme Adam saß mit flackernden Augen da. Seine Fröhlichkeit hatte eine besondere Prägung: langsam zog ein helles Rot über das sonst fahle Gesicht, wie Widerschein und Wirkung des Weines, der schnell in seinem Becher sank. Er sprach wenig; aber hie und da ging ein rascher, unsicherer Blick zu Anna und blieb einen Moment an ihr hängen. Sie vermeinte dann jedesmal, etwas von sich abwischen zu müssen, etwas Unangenehmes, das nicht ganz sauber war. Dieser arme Adam! Sie hatte ja solches Mitleid mit ihm, hinkend und unsicher, wie er war, und ohne Offenheit des Blickes und der Seele, was konnte da das Leben ihm reichen? Aber es war kein warmes und herzliches Mitleid; sie mußte sich immer zusammennehmen, wann sie freundlich mit ihm sein wollte. Das war schon dazumal so gewesen, als sie noch nebeneinander arbeiteten in Meister Sulzers Werkstätte; schon damals war ihr der lahme Thurgauer mit dem krausen schwarzen Haar über der niedern Stirn und den unsteten Augen, die sie niemals offen anblickten und doch immer nach ihr zu suchen schienen, zuwider gewesen. Und nun war er ihr auch hierhergefolgt, und heute noch gab es ihr jedesmal einen Stich, wenn sie ihn an Giulios Staffelei hantieren sah.
Aber nun kam er ja vielleicht zurück, Giulio. All die Fröhlichkeit galt ja ihm; warum saß sie eigentlich hier, stumm in der dunkeln Ecke! Sie verstand sich selber nicht; es war, als ob sich eine Wand zwischen sie und die andern geschoben hätte, daß sie nicht mitmachen konnte. Vielleicht waren Lukas’ Worte schuld daran, die hatten ihr gleich alle Freude erstickt. Oder hatte seine Bemerkung einem Gefühl in ihr die Hand gereicht? War es vielleicht eine Ahnung, die sie von den Fröhlichen dort ausschloß?
Aber freilich, im Grunde war sie ja immer so: wenn es draußen lustig wurde und laut, dann fühlte sie jeweilen dieses Sonderbare in sich aufwachsen, wie wenn plötzlich Glockenschläge in ein lustiges Lied klingen, dumpf und wie mahnend, daß sie erschauernd nach innen lauschen mußte. Und heut war es ja ein sonderlicher Tag: der Leichgang des alten Jahres; die laute Lustigkeit wollte nicht dazu passen. Sie mußte heimdenken. Dort kamen sie nun wohl vom Abendgottesdienst im großen Münster her. Wie deutlich sie das sah: Vater und Mutter, wie sie unter dem schöngerundeten Portal herfürtraten, und vor ihnen lag der Friedhof gebreitet, still, still unter der Last des Schnees und so weiß; denn über dem Antistitium stand der Mond, und die ganze Luft war weiß wie ein fallender Schleier, in den die
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