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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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sparen, mir nachzujagen. Meine Wege sind nicht offenbar, und wer möchte Giulio einholen, wann Angst und Liebe sein Pferd beflügeln?
    Auch Frau Werner grüße; sie hatte eine weiche Hand und gute Augen, und Christoph und Lux.
    Ach, alle waren sie gut; Du aber warst das Beste, das Allerbeste — vielleicht an meinem ganzen Leben. Nun möchte ich noch einmal Deine Augen sehen und Deine Hand fassen können, das tapfere kunstreiche Händchen, und Deine weiße Stirne küssen, die Stirne einer kleinen Heiligen mit den reinen und edeln Gedanken — ah, dann wäre mir gut und mein Vertrauen stark; denn alle Glut beschwichtigst Du, daß man kühl und rein wird in Deiner Nähe und klargerichtet. Wie not täte das Deinem armen, verwirrten und in Angst und Leidenschaft aufgepeitschten Bruder! Aber es muß auch so gehen.
    Und vielleicht sehen wir uns wieder.“
    Als Anna aufblickte, stand der Junge immer noch vor ihr. Sie sah ihn wie durch einen feinen zittrigen Flor.
    „Kommt der liebe Herr nun nimmer zurück?“ fragte der Kleine betrübt. „Eine ganze Dublone hat er mir gegeben, als er ging, und dann hatte er auch das Augenwasser, grad wie Ihr jetzt.“
    Anna stand auf. ,,Ja, er war ein guter Herr, Köbeli, vergiß ihn nicht, und er kommt nun wohl nie mehr.“ Sie wandte sich rasch nach der Brücke, und wie sie die Junkerngasse hinaufschritt, klangen ihr die eigenen Worte im Ohr. Und nun fühlte sie auch ihre Bedeutung, daß es ihr das Herz zusammenschnürte: Giulio fort, der Abend ohne Lieder und der Garten still und verlassen, in der Malerwerkstätte kein Feuer und keine Fröhlichkeit mehr, bloß Fleiß und Arbeit, und ach, die lieben italienischen Laute tot und tot die Bilder voll Glut und Farbenherrlichkeit, die ihr Herz berückten!
    Herr Werner nahm sich Giulios Rat nicht zu Herzen. Sobald er den Brief gelesen hatte, den Anna ihm unverzüglich überbracht, rüstete er sich unter heißen Verwünschungen Giacominos mit lauter und überstürzter Eile zur Reise, und noch am selben Abend jagten er und Christoph mit der Gnädigen Herren Erlaubnis auf schnellen Pferden dem Flüchtling nach. Zwei Tage später kamen sie wieder zurück, abgehetzt, wegmüde und traurig. Dreimal hatten sie Giulios Spur gefunden; aber sie eilte mit solcher Schnelligkeit voran, daß an ein Einholen nicht mehr zu denken war. Wie ein Rasender mußte er geritten sein, Tag und Nacht.
    Herr Werner war tief niedergeschlagen, düster und wie gealtert: „Ich fürcht’, da ist etwas ganz Abscheuliches im Spiel,“ sagte er zu Frau Werner und Anna, die den beiden Reisemüden ein rasches Mahl auftischten; denn Sibylla war bei ihrem Anblick und als sie hörte, daß Giulio nicht mehr zu erreichen gewesen, in ihr Zimmer geflohen. „Noch vor wenig Wochen schrieb mir mein edler Freund aus Florenz, daß zwar das väterliche Gold wacker arbeite, sodaß Hoffnung sei, Giulios Sache werde sich zum guten Ende fügen, sofern der Jüngling noch etwas Zeit wegbliebe. Eine voreilige Rückkehr aber könnt’ alles verderben. Und nun Giacominos Brief — sacrebleu — ein sauberer Freund scheint das!“
    Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Becher klirrten, und sein Gesicht wurde braun vor Zorn. „Ich glaub’, der Giulio war ihm im Weg, dem Schurken!“
    Aber Anna schüttelte den Kopf: „Ihr irrt Euch, Meister, Giacomino war Giulios bester Freund; er hat ihm immer Nachricht gegeben über Donna Ersilia, öfter denn sie selbst, und er schützte und tröstete die Verlassene.“
    „Er schützte und tröstete die Verlassene! Optime! Optime! “ Herr Werner brach in ein grimmes Gelächter aus; als er aber Annas erschreckte Augen sah, ward er plötzlich ernst: „Seht, Kind, das versteht Ihr nun nicht. Ihr mit der Heiligenstirne, und es ist recht so. Aber meinen Giulio habe ich nun wohl verloren. So oder so. Auch wann die Gerichte ihn freisprechen, und das sollte nicht unmöglich sein, weilen seine rasche Tat zur Verteidigung einer Dame geschah, und in derlei Dingen denken sie anders, die dort unten mit dem heißen Blut, und der Vater ist reich und weiß, wie man mit Dublonen ficht; aber auch dann, auch wenn er frei wird, für die Kunst ist er nun wohl verloren. Schade, schade; als ein Wegversprengter kam er zu mir, zerflattert und untüchtig. Seit Ihr da seid, Anna, ist er anders geworden. Ihr habt alles Gute an ihm herausgekehrt, nun hätte er wohl ein großer Künstler werden können. Euer Bildnis — parbleu — ich wär’ stolz darauf, wenn ich’s gemalt

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