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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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Lux!“ Anna richtete sich zornig hoch auf. „Herr Morell ist mir wie ein Vater; aber das hier, wann’s geschehen wär’ — häßlich, häßlich! Verachten müßt’ ich dich!“
    „So?“ Lukas lachte hart heraus. „Verachten? Willst mir’s am Ende machen wie dem Adam?“
    „Was weißt du von Mörikofer?“ Aus entsetzten Augen blickte sie den andern an. Der schien sich an ihrem Schreck zu weiden mit einer Art grausamer Freude. Dann lehnte er den Kopf an die Eiche und sah weit vor sich hin nach der Ferne und hub zu berichten an, mit einer gleichgültigen Stimme, als ob er ein Märlein erzählte:
    „Dies weiß ich: Es war eine schwüle Maiennacht, der Föhn ging, und im Garten roch der Flieder. Da machte die Amsel, so im Holderbaum nistete, grad über der Mauer, auf einmal einen großen Lärm. Solches vernahm das Mägdlein droben in der Turmkammer, und weilen es so ein weich Herz hat, daß es keines Vögleins Angstruf hören kann, ohne ihm alsbald zur Hilf zu eilen, sprang es mitten in der Nacht die Treppen hinunter, bloß lützel angetan, mit kurzem Röcklein und offenen Haaren, daß sie hinter ihm her wehten gleich einem dunkeln Seidentuch. Und mit nackten Füßchen stieg’s auf die Mauer — die standen zweien weißen Täubchen vergleichbar auf dem dunkeln Rand — und suchte nach der bösen Katz. Erst beim Nestchen im Holderbaum, und dann überall durch den Garten hin; da es aber nirgends was entdecken konnt’ und die Amsel mit der Zeit sich auch heimfand und beruhigte, schlich es endlich wieder zurück … Derweil aber hatte sich im Gartensaal einer versteckt, den der Föhn nimmer schlafen ließ; der lauerte dem Täubchen auf, und da es nun arglos an ihm vorbeihuschte, überfiel er es und griff nach ihm und wollte es küssen. Aber sieh, da ward aus dem Täubchen ein wilder Falk, und der Räuber flog mitten in die Stube heraus, grad über sein lahm Bein, daß er kläglich am Boden lag. Und da wurd’ das Mägdlein ganz groß: ‚Morgen ist Freitag,‘ sagte es mit harter Stimme; ‚wann Ihr am Sonntag noch da seid, vernimmt es der Meister!‘ Am Samstag ist dann der Adam verreist, und es hieß, sein Oheim hätt’ ihn plötzlich zurückgerufen.“
    Anna schlug die Hände vors Gesicht: „Oh, häßlich, häßlich!“ Und dann besann sie sich: „Heiliger Himmel, woher weißt du das, Lux?“
    Immer noch stand er mit abgewandten Augen da, sodaß sein scharfes Danteprofil mit harten Linien in die Luft stach; dann fuhr er fort im selben Tone: „Der Räuber, so die Amsel erschreckt, war keine Katz, war ein mutwilliger Junge, den es gelüstete, ein gewisses stolzes Fräulein aus dem Schlaf zu wecken; aber“ — er zögerte und wandte sich dann plötzlich Anna zu, und etwas leuchtete in seinen Augen, und etwas bebte in der Stimme — „aber als du kamst, kein stolz Fräulein, ein lieb Dirnlein bloß, das die Barmherzigkeit trieb, dem armen Vogel zu helfen — ach, da gingen mir die Augen auf, daß ich dich sah, wie du bist, ein lieb schön Geschöpf wie andere Mägdlein auch, nur viel besser noch, und daß das nichts war mit dem fürnehmen und überheblichen Frauenzimmer. Schau, ganz nah warst mir, ich saß auf der Mauer im Efeu — und du grad neben mir ganz nah — die weißen Füßchen — und das Haar, schier mir ins Gesicht trug’s der Wind — und das war der Föhn, ja, und mein Herz war auf einmal aufgesprungen wie der Fliederblust über Nacht — Und der Adam, getötet hätt’ ich ihn, wann du dich nicht selbst so tapfer gewehrt!“
    Ganz still war Anna dagestanden, mit gesenktem Kopf, und die Arme hingen ihr hernieder.
    „Oh, wie ich mich schäme,“ sagte sie leise wie unter einem Zittern, „das hättest du nicht sehen dürfen, du nicht!“ Aber dann hob sie langsam das Gesicht: „Lux,“ und es klang dringend, schier angstvoll, „das vorhin, weißt du nun, warum ich es nicht will, und daß dann alles, alles dahin sein müßte und zerstört? Oh, nichts Gemeines, nichts Häßliches nicht, ganz klar soll es sein, ganz hell!“
    Lukas wollte ihr widersprechen; aber da er in ihr weißes Gesicht blickte mit den großen verschatteten Augen und schier schmerzhaft der rote Mund, erschien sie ihm auf einmal seltsam fremd, wie etwas Hohes und Unberührbares, dem man sich nur mit ehrerbietigen Gedanken und andächtigen Gefühlen nahen darf. „Ich will dir gehorsamen,“ sagte er leise. Und dann reichten sie sich die Hände, stumm, wie zu einem Gelöbnis, und wortlos stiegen sie selbander den Hohlweg

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