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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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hinunter.
    Ganz klar, ganz hell — ja, so war es nun, allenthalben. Wie im Morgenduft die ganze Welt mit zarten leuchtenden Fernen. Und im Himmel ein Singen — oder war es in der eigenen Brust? — so leicht und schwingend wie Schwalbengezwitscher. Und wie ein Frühlingstag das Leben, wann die Luft blau ist und voll vom Harzgeruch der springenden Knospen und einem die Augen groß werden und die Hände frei, daß man tun möchte wie die schaffende Erde, die ihren Segen spendet unermeßlich. So schöpferisch, so gebend war auch Anna zumute. Niemals zuvor hatte sie so gearbeitet wie jetzt. War es nicht, als ob die Hände den Pinsel anders führten, sicher und leicht, und flossen ihr nicht die Bilder von selber zu? Und dieser neue Farbenauftrag, den Herr Werner eine staunenswerte Erfindung nannte, hatte sie ihn nicht an jenem Morgen zuerst angewandt, als sie Lukas’ erstes Gedicht unter dem Elfenbeinplättchen ihrer Farbenschachtel gefunden? Da war es ihr auf einmal gekommen, daß sie die Farben ganz hell nehmen mußte, mit so feinen Übergängen, weich, weich, und da war auch plötzlich das Schmelzende drin gewesen, das ihre neuesten Bildchen wie mit einem fremden und eigenen Hauch überzog, der sie selbst entzückte. Ah, die Entdeckung, daß Lukas ein Dichter war, wie sie das berauschte und ihre eigene Liebe in ein höheres Licht setzte! Ihr selbst war diese Welt verschlossen. Alles wurde ihr zu Farben und Formen; umso mächtiger ergriffen sie die Töne, die von andern auf sie zuflossen. Und Lukas’ Gedichte, das war kein wortreich Geschwätz, wie man solches nun allenthalben vernahm — die klangen wirklich, sie hatten Töne: oft metallisch und kurz, wie vom Hammer der Schmiede, wann die Funken sprühen, oder weich und leise wie ein Abendwind oder kühl wie das Plätschern des Kahnes, der mit langhinrauschenden Rudern durchs Wasser zieht. Oft waren sie herb und bitter wie Meister Grobs kühn geschleuderte Verse, oft süß und still wie die Lieder des Simon Dach. Und irgendwie sah ihr aus jedem ihr eigenes Bild entgegen, nur zart und fern wie unter einem Schleier, oder wie verklärt durch die Liebe des andern. Und da es nun immer von solchen Liedern in ihr klang wie von einer süßen, ewigen Melodie, war es zu verwundern, daß ihr die Arbeit glückte und daß die Farben weich wurden und schmelzend? Schon dem Bilde mit der Nymphe Egeria hatte Herr Werner ungeschmälertes Lob gespendet, und mit heißer Freude hatte sie es Herrn Morell zugeeignet. Aber das andere, das Schäferbildchen, war doch noch etwas anderes geworden. Der ganze Waldzauber und das Glück ihrer jungen Liebe war da hineingegangen, sie wußte selber nicht wie, und sah sie nun mit feuchtschimmernden Augen daraus an. Halb im geheimen und ohne Wissen des Meisters hatte sie neben der respektabeln Egeria das Werklein geschaffen, mit Hilfe ihrer Skizzen und der zierlichen Französin, die ihr gerne den Prunk ihres Haares und die Linien des schlanken, leicht geschürzten Figürchens preisgab. Als Herr Werner das Bild sah, hatte er zuerst eine ganze Weile geschwiegen, und dann war er losgebrochen: „ Ventre-saint-gris, was ist das, seid Ihr bei einem leichtfüßigen modischen Franzosen in die Lehr gegangen, daß Ihr so unwernerisch malt!“ Aber dann hatte er doch geschmunzelt: „Verdammt nobel ist er, der Helgen, beim Saker, und gefallen wird er,“ und hatte nachdenklich beigefügt: „Wunderlich, wunderlich, es ist, als ob gewisse Sachen in der Luft hingen und die Jugend darnach schnappen müßt … Gut, daß Ihr bei Wernern ein tüchtig Fundament gelegt mit Zeichnen und ernsthaften Wissenschaften, Waserin, ansonst Euch solche Sprüng gefährlich werden könnten!“ Anna aber liebte dies Bildchen wie ihre Liebe, und neue Eingebungen gingen ihr davon aus und füllten ihre Phantasie mit Blumen und Sommerjubel, derweil draußen sachte der Winter niederging und die kurzgedrängten Tage sie zu doppeltem Fleiß anspornten.
    Mit Lux war sie selten mehr allein. Christoph arbeitete ebenfalls unermüdlich und war die kurzen Tage und langen Abende im Atelier und in der lampenerhellten Zeichenkammer ihr steter Gefährte, bis man selbander in die Stube hinunterstieg, wo Anna sich neben Frau Werner und Sibylla ans Spinnrad setzte und man unter allgemeinem Geplauder die Schlafenszeit erwartete. Und Anna begehrte es nicht anders: hatte sie nicht Lukas’ Gedichte, und konnten sie sich nicht mit Augen sagen, was für Christophs Ohren nicht bestimmt war? Daß man sich sah

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