Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
Vom Netzwerk:
starb. Und plötzlich fiel ihr ein, wie rasch der Bräutigam, der Onkel Pfarrer, eine andere Eheliebste gefunden und daß der Onkel Fähndrich unbeweibt geblieben … Ja, ja, der hatte es auch nicht verwinden können, der raue gute Mensch.
    Unten vor der Haustüre stand er plötzlich wieder neben ihnen: „Nun hinein mit euch, ihr Nachtschwärmer!“ rief er lachend, scheuchte mit Händeklatschen das junge Volk die dunkeln Treppen hinauf, wie man mit Hühnern tut, und folgte dann selbst bedächtigen Schrittes.
    Als sie die große Stube betraten, die von einer Ampel nur mäßig erhellt wurde, sahen ihnen die andern mit besorgten und ernsthaften Gesichtern entgegen. „Ihr seid spät,“ sagte der Amtmann mit trockener Stimme und zog die Stirne kraus. „Nimmt mich wunder, daß man euch das Grendeltor nicht vor der Nasen zugeschlagen und daß ihr nicht dem Profosen 3 in die Händ gefallen. Das sind mir absonderliche Manieren das!“
    Aber der Fähndrich fuhr begütigend dazwischen: „Papperlapapp, Jungvolk muß auch seine Sprüng machen, kannst sie nicht alleweg einsperren wie die Bürgermeisterin ihren Affen.“ Und er küßte mit einer artigen Reverenz, die seinem schweren Körper merkwürdig stand, der Amtmännin weiche wächserne Hand.
    Diese nickte ihm freundlich zu und fuhr dann ihrem Eheherrn scheu und beschwichtigend über die bedenklichen Stirnfalten: „Ein ander Mal wird’s nimmer vorkommen, Vater, es war doch heut ein sonderlicher Anlaß.“
    „Was, sonderlicher Anlaß?“ fragte der Fähndrich, während er sich schwerfällig und mit vernehmlichem Krachen des festen Lehnstuhls niederließ. „Hat eins seinen Namenstag oder hat die Esther wieder was zur Welt gebracht?“
    „Wie du auch redest,“ entgegnete die Schwägerin vorwurfsvoll; „der Casparli ist ja kaum sieben Monate alt.“
    „Nanu, dann schwör’ ich drauf, daß ihr in zwei Monat wieder Großeltern werdet; die hat’s los, die Dietschin!“
    Mit Rudolfs Hilfe, der Stein und Zunder herbeibrachte, setzte er, ungeachtet des kopfschüttelnden Bruders, der den verbotenen Tabak nur ungern duldete, sein kurzes Pfeifchen in Brand und ließ sich derweil von Annas neuesten Erfolgen berichten.
    „Saker Hagel,“ rief er dann und zog mit gutmütigem Spott die Brauen hoch, „da muß man dir ja felizitieren, Meiti,“ und er zog Anna zu sich und küßte sie mitten auf den schmalen Mund. „Ist allweg was anderes, so ein hochfürstlich Contrafet zu malen als ein gemein bürgerlich Gefräß, und wird dir auch gleich sein, wenn einmal was anderes unter den Pinsel kriegst denn lange Basler und breite Zürcher Nasen!“
    Er setzte sich behaglich in den Lehnstuhl zurück und sah zu, wie Maria aus einem großen zinnernen Krug den klaren Herrliberger in die Becher goß, während die Amtmännin ihre unterbrochene Stickarbeit mit subtilen Händen wieder aufnahm und die beiden Mädchen das Zimmer verließen, um Hauben und Tüchlein abzulegen.
    Der Amtmann rückte seinen Stuhl zum Bruder hin: „Was sagst du zum Erfolg unserer Tochter?“ fragte er leise, während er langsam die blassen Hände aneinander rieb. „Leben wir nicht in einer schönen und gebildeten Zeit, da selbst dem Frauenzimmer so hohe Ehre nicht versagt ist?“
    „Was, schöne Zeit!“ schnauzte der andere dawider. „Für das Meiti kann die Zeit nichts, das Anneli war von der ersten Stund ab was Besonderes. Was, gebildete Zeit! Ja, wann man Bildung nach Papier und Tinten bemessen könnt’ und wann Wortedrechsler und Haarspalter gelehrte Leut und Aberglaube Weistum wär’, dann stünd’ unser Säkulum obenan. Aber wann man nach großen eigenen Gedanken, klarem Urteil und verstandsamen Sprüch oder gar nach Taten fragt, da kann unsere vielverrühmte Zeit recht als ein geschlagener Hund den Schwanz zwischen die Schlotterbein nehmen und sich verkriechen, wo’s am finstersten ist. Da meinen sie, was Wunder es sei, wann heutigstags jeder Schnuderbub sein eigen Federrohr besitzt, und ziehen die bleichen Nasen krumm, wann einer vom dunkeln Mittelalter redet, und mein’ doch, daß die Zeiten, da der edle Rüdiger von Maneß 4 , der nicht bloß die Federen, wohl aber auch das Schwert zu führen verstanden, dort drüben im Blarerturm mit Staatsleuten, Dichtern und gelehrtem Volk allerlei unterhaltsame und nachdenkliche Stunden feierte, an Weistum unserer verbildeten, papierenen Zeit um nichts nachstand.“
    Mit grimmem Schnauf blies er den Rauch seines schweren Tabaks von sich und blickte

Weitere Kostenlose Bücher