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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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regungslos unter dem kühlen Hauch des sterbenden Lichtes.
    Anna zog die Ruder langsam durch das silberne Wasser. Sie mußte nachdenken. Ganz plötzlich, aus Begeisterung und Sehnsucht hatte sich etwas auf sie gestürzt und saß ihr nun fremd und weh auf der Brust. Von Elisabeths stillem Geständnis war es hergekommen. Herrgott, war das am End Eifersucht? Mochte sie der jungen Schwester nicht gönnen, was ihr so grausam genommen war? Anna erschrak über sich selbst. So häßlich wäre das. Aber dann schüttelte sie leise den Kopf. Nein, nein, das war bloß die alte Wunde, die wieder schmerzte, und Lisabeths Worte hatten sie aufgerissen. Den neuen Lukas, den mit dem jungen Weib und dem einträglichen Geschäft, den hatte sie wohl überwunden; aber den andern, den früheren Lukas mit den heißen Augen und den seltenen Worten, den Lux, mit dem sie durch den grünverhangenen Wald gegangen, als die Goldamsel sang und das Moos unter ihren Füßen den feinen müden Geruch verströmte, den hatte sie nicht überwunden — den würde sie wohl nie überwinden — niemals.
    Bei der Schifflände gingen sie ans Ufer, und während Rudolf den Kahn befestigte, stiegen die beiden Mädchen durch ein dunkles Gäßchen nach dem Oberdorf hinauf. Anna zog leise Lisabeths Hand durch ihren Arm: „Freust du dich, daß er zurückkommt, der Johannes Cramer?“
    „Ja,“ antwortete Elisabeth mit leisem Zittern.
    „Und freut er sich, wiederzukommen?“
    „Ja,“ tönte es heller zurück, und dann fügte sie bei, mit einem zärtlichen Jubel in der Stimme wie bei ganz kleinen Vögeln, die ihre Kehle probieren am dunkeln Morgen, bevor die Sonne aufgeht: „Wir haben uns so gern, Johannes und ich.“
    Anna drückte innig den Arm der Schwester: „So segne dich Gott, Schwesterlein; ich glaub’, er ist ein feiner Mann, adlig in Gesinnung und Gestalt.“
    Sie sah den Jüngling vor sich. Als sie von Bern zurück war, hatte sie ihn oft getroffen, wann er ins Haus kam, um Maria zu trösten über den Tod seines armen Vetters. Er war ihr immer angenehm gewesen mit seiner vornehmen und stillen Art und mit dem vornehmen blassen Gesicht. Er hatte eine hohe kluge Stirn mit ein paar zarten himmelblauen Äderchen drauf und seltsame Augen: groß und still, mit einem inneren Leuchten. Oh, der war anders als Lux, und der würde auch eine Liebe hegen können, zart und still wie ein heiliges Licht. Ja, der paßte zu der zarten Elisabeth. „Gott segne euch beide,“ sagte sie noch einmal und streichelte wie andächtig der Schwester dünne Hand.
    Da fiel ein Lichtschein über den Weg, der aus einer plötzlich geöffneten Schenktüre herausbrach, aber sofort wieder von der dunkeln Masse einer festen Gestalt aufgefangen wurde. Ein Mann verließ die Weinstube, stellte sich breitspurig vor die beiden Mädchen und schaute ihnen unter die Hauben: „Saker Hagel,“ rief er überrascht, „meine Nönnchen! Ist das eine Ordnung! Ohne Begleit und zu der Stunde!“
    „Der Rudolf ist mit uns,“ erwiderte Lisabeth schier ängstlich.
    „Was,“ entgegnete der andere lachend, „der Student mit dem Flaumbartgesicht, das wär’ noch ein schöner Schutz! Da ist’s bei Gott an der Zeit, daß der Onkel Fähndrich euch unter die Fittiche nimmt, euch ungefedertes Hühnervolk!“ Er nahm die beiden Mädchen, die ihm lachend einhängten, an seine Arme und trottete mit ihnen durch die dunkle Oberdorfgasse, in die ein paar helle Fensterchen lustige Lichtseelein warfen.
    „Ist ihm auch zu gönnen, dem alten Knaben,“ brummte er im Weitergehen, während er zwei schlanke Händchen zärtlich in seinen festen Tatzen vergrub, „ist ihm auch zu gönnen, daß er mal mit zwei so feinen Jüngferchen durch die nächtliche Stadt promenieren kann!“
    Aber vor dem Großmünster, an der unteren Kirchhoftür, ließ er plötzlich ihre Hände los. „Geht voraus,“ sagte er kurz, fast rau, „ich komme euch nach.“ Dann riß er den Hut vom Kopf und verlor sich im Schatten der Kirche, den der aufgehende Mond über die Kreuze warf.
    An der oberen Pforte, die den Kirchhof von der Münstergasse trennte, holte Rudolf die Schwestern ein: „Habt ihr den Onkel Fähndrich gesehen?“ fragte er leise. „Nun steht er wieder am Grab der Margarete; nie geht er über den Kirchhof, ohne sie zu besuchen.“
    Die Mädchen nickten schweigend, und Anna dachte an die alte Geschichte von des Oheims seltsamer Liebe zu der schönen Violanda Bürklin schönem Kinde, das die Braut seines Bruders gewesen und so früh

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