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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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einer hinter dem andern, vom Kratzturm, der unten am Wasser schwerfällig hinter seinem Schänzlein stand, bis hinauf zum St. Peter. Der aber überragte alle andern und glich mit seiner gedrungenen festen Gestalt und dem mächtigen, erstaunten Zifferblatt gewissen wackeren Bürgern dieser Stadt, die auf kurzen festen Beinen durchs Leben gingen und mit klaren Augen aus ihren großen Köpfen herausblickten.
    „Der Sankt Peter, weißt du noch, wie wir ihn früher nannten?“ Anna wandte sich an Rudolf, der ihr gegenüber das Stehruder führte und nun, ihren Augen folgend, nach der Stadt zurückschaute.
    „Freilich,“ nickte er ernsthaft, „auch heut ist er mir immer noch der Onkel Fähndrich und ist mir schier so lieb wie dieser, sicherlich der liebst unter allen Türmen der Stadt.“
    Elisabeth, die zwischen ihnen saß, das Häubchen im Schoß, mit träumerischen Augen und roten Lichtern im dunkelblonden Haar, schüttelte leise den Kopf: „Mir sind die Großmünstertürm doch lieber, so vornehm und hochgebaut; der ander aber ist schwerfällig und gewaltsam und gar nicht wie ein Kirchturm. Mit dem mutzen Dach, den vier Ecktürmchen und der Riesenuhr erinnert er recht an die Zeitlichkeit, derweil die andern mit zwei mächtigen Fingern grad hineinweisen in den Himmel.“
    Aber Rudolf machte ein überlegenes Gesicht: „Wie kann man lieben, was zu zweien auftritt! Die Großmünstertürm, zwei glatte Pfarrherren mit einerlei Meinung, von denen keiner allein gehen kann; aber der Peter, der bedarf des andern nicht, der steht allein!“
    „Zwei Pfarrherren?“ Anna lachte. „Und wo findest denn unsern Herrn Antistes? Einen gar zu schlanken Turm wirst nicht wählen dürfen!“
    Rudolf zog die Brauen scharf zusammen: „Der Antony Klingler, das ist der Rennwegturm! Mit seinem dicken Bauch betreut er den Fröschengraben und labet sich an den übeln Dünsten, die daraus steigen — der Rennwegturm, wann das Tor geschlossen ist und er sich einem schwerfällig entgegenstellt und mißtreu und keinen durchläßt, es sei denn, daß er mit fürnehmen Insignien ankommt und vergüldeten Wagen.“
    „Wie redest du auch, Rudolf!“ Anna sah ihn erstaunt an. „Sollt einer meinen, daß du selbst ins Ministerium zu treten im Begriff stehst? Von wem hast du solche Reden?“
    „Von mir,“ entgegnete der andere trotzig, „und von einem, der mehr wert ist denn alle Schwarzröck zusammen, den dicken Vetter Antistes dreimal mit eingerechnet, von einem, der von einer gewissen Jungfer ein merkwürdig Wort geredet: ‚Die Waserin‘, hat er gesagt, ‚eine Person mit einem männlichen Geist und jungfräulichem Sinn, klug genug, um häßlich, und schön genug, um dumm zu sein — ein Miraculum, fähig, ein paar antikischer Dogmata auf den Kopf zu stellen!‘“
    „Er redet von Professor Scheuchzern,“ sagte Elisabeth schüchtern, „dann hat er immer so glänzige Augen; aber der Vater hört’s eben nicht gern.“
    „Verkehrst du immer noch viel mit ihm?“ fragte Anna dawider.
    „Weniger als ich möcht’; denn Vorsicht scheint ratsam, wenn man nicht um Amt und Zukunft kommen will wie der arm Jacob Cramer. Aber doch grad genug, um zu merken, von wannen ein neuer Geist in unsern Moderschmack hereinfahren wird und welcher Gestalt er ist. Die frommen Herren fürchten ihn; leicht könnt’ der frisch Luftzug ihre Paperassen 1 durcheinander machen, und dann fänden sie sich nimmer zurecht, da ihre Religion nicht in Kopf und Herzen, sondern lediglich auf vergilbten Pergamen steht.“
    „Vater meint, er sei ein unruhiger Kopf, der Professor,“ entgegnete Elisabeth nicht ohne Ängstlichkeit in den weiten blauen Augen. „Er habe absonderliche neue Ideen, die leicht den alten guten Glauben ins Wanken bringen und den alten guten Geist der Vaterstadt verwirren könnten!“
    „Den alten guten Geist!“ höhnte Rudolf. „Sag die alte Stickluft, und du sprichst wahrer; aber Vater braucht nichts zu fürchten, einstweilen ist wohl dafür gesorgt, daß die beieinander bleibt. Die neuen Bastionen, um den Feind abzuhalten wurden sie erbaut, hieß es. Ich glaub’s nicht, maßen sie erst aufgeführt wurden, als der bös Krieg zu Ende ging. Eine neue Mauer und Schutz für den guten alten Geist bedünkt es mich; denn denkt, wann ein paar Türm weniger den Himmel beengten und der Fröschengraben einen minderen Gestank verschickte, das wär’ eine schlimme Not! Und wann der alte Geist ein Loch bekäm’ und im Nebeldach ein Stück Blauhimmel erschiene,

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