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Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Die Geschichte der Anna Waser (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Anna Waser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Waser
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der Predigt mit den Ihren auf der Niedern Brücke wandelte, hin und her unter all dem Volk, und ihr von jeglicher Seite ehrerbietige Grüße zuflogen und die Leute sie beguckten und flüsterten, wo sie vorüberging — ein bißchen höher schlug das Herz da schon, und die leichten Schritte wurden noch leichter. Und war es nicht ein eigenes Gefühl und schier wie Vorschmack des Unvergänglichen, wenn sie nun immer wieder auf dringenden Wunsch und Bestellung hin ihr Selbstbildnis zeichnen mußte? Daß es dabei etwas Anmutsreiches zu schaffen gab, konnte sie sich nicht verhehlen, und wann die Bildchen ihrer Hand entflogen, jedes in einem tiefsinnigen Spruch oder nachdenksamen Wort auch eine Spur ihres Geistes mit sich nehmend, waren das nicht so viele Grüße und Botschaft ihres Daseins an spätere Zeiten!
    Und so schnell gingen auf einmal die Monde, es war alles wie ein Traum fast und kleiner Taumel.
    Aber dann kam das Erwachen.
    Ein kleines Ereignis ohne äußere Folgen führte es herbei, ein Brief, der Anna seines seltsamen und völlig unerwarteten Inhalts wegen als etwas außer den Maßen Rührendes anlag und sie zum Nachdenken brachte und zur nüchternen Beurteilung ihres Lebens.
    Christoph Werner schrieb aus Berlin, er habe sich nun trotz den mittelmäßigen Gaben, die Anna wohl an ihm kenne und die ihn als gar unwürdigen Sohn seines großen Vaters erscheinen ließen, doch durch unentwegten Fleiß und gütige Protektion so weit gebracht, daß er an Gründung eines eigenen Hausstandes füglich denken dürfe. In Erwägung solcher Situation aber habe sich der große Wunsch seines Lebens neu in ihm geregt, und ob er gleich seiner schier unerhörten Vermessenheit sich wohlbewußt sei, wage er es dennoch, in Ansehung der herzlichen Freundschaft, die Anna mit seiner Familie und insonderheitlich mit Vater und Schwester verbinde, als auch ihrer großen und herablassenden Güte, ihr seine herzinnige Liebe einzugestehen, die an Alter ihrer Bekanntschaft gleichkomme, deren Tiefe und unvergleichliche Kraft aber an Annas Fürtrefflichkeit zu messen sei. Wenn nun aber Anna, was freilich zu hoffen er kaum wage, ganz uneingedenk ihrer Überlegenheit seinen Wünschen ein geneigt Ohr zu leihen dennoch nicht verschmähte, würde es ihm nicht anders ergehen denn einem Menschen, dem nach langer betrübter Nacht plötzlich die Sonne erscheine. Indessen wisse er wohl, daß allein solches zu denken schon eine Verwegenheit sei, und bitte sie deshalb inständiglich, ihm eine fördersame Antwort zu geben, in beiden Fällen, maßen er den schweren Schlag lieber bald erdulden möchte denn nach langem und herzaufreibendem Warten.
    Nicht daß sich ihr eine unerwiderte Liebe nahte, war das Besondere — solches war ihr in den letzten Zeiten mehr als einmal widerfahren, und ihr unbeteiligtes Herz hatte davon weiter kein Aufhebens gemacht — aber daß es eine so alte und treue Liebe war und daß sie all die Jahre unbeachtet neben ihr hingegangen, das rührte sie und dann, daß es von Christoph kam. Der Name rief so vielen guten und herzlichen Erinnerungen, und die Vorstellungen, die sich damit verbanden, hatten alle irgendwie etwas Tüchtiges, Klares, Vertrauenheischendes, eine Echtheit und Verläßlichkeit, neben der ihr auf einmal ihr gegenwärtiges Leben flackerhaft vorkam und voller Schein, und da sie es nun unter ihr scharfes Urteil legte, gewahrte sie die Belanglosigkeit der letzten Zeiten, wie sie ihre Kräfte verzettelt in leichter gefälliger Arbeit und wie sie sich ohne Kampf und vorwärtsstrebendes Ringen am billigen Erfolg begnügt hatte, und sie schämte sich dieses Erfolges und ihrer Freude daran. Aber in der Erkenntnis, deren bittere Neige sie sich nicht ersparte, lag auch der Entschluß zur Umkehr. Als sie Christoph antwortete, in einem klaren und schonsamen Brief, daß sie jenem Weg, so der Frau vorbestimmt erscheine, gänzlich zu entsagen sich längst entschlossen habe und ihr Leben in den alleinigen Dienst der edeln Malerei zu stellen gewillt sei, so war das kein ausweichendes Wort bloß für den andern, sondern ein ernstgemeintes Gelübde gegen sich selbst.
    Mehr und mehr zog sie sich zurück aus der Gesellschaft — nicht leicht, denn es zeigte sich, daß das feine Netz der Gefälligkeit und Zerstreuung keine minder zähe Fessel bedeutet als die strengen Bande der Pflicht. Und nach und nach tastete sie sich zurück auf die alten herberen Wege und fand den Ernst der Arbeit wieder und die gesammelten Kräfte und suchte nach der

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