Die Geschichte der Deutschen
Könige und Herzöge leihen sich bei Juden Geld, um damit den Luxus des Hoflebens oder die Bestechung der entscheidenden Wahlmänner bei der Königsfindung finanzieren zu können.
Der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung liegt in Deutschland im Mittelalter und in der Neuzeit immer unter einem Prozent. Die große Mehrzahl von ihnen lebt bis weit in das 19. Jahrhundert hinein – so wie auch die Mehrheit ihrer christlichen Nachbarn – in großer Armut. Die in Westeuropa lebenden Juden beginnen erst nach der Französischen Revolution, also nach 1789, die Ghettos zu verlassen und sich in einem längeren Assimilierungsprozess in den verschiedenen bürgerlichen Berufen zu etablieren. Reiche Westjuden, die ungerechterweise für die Judenhasser und Antisemiten zum klischeehaften jüdischen Negativbild stilisiert werden, gibt es nur sehr wenige. Sie haben ihr Vermögen weder moralischer noch unmoralischer zusammengetragen als die reichen Christen. Die »jüdische Gefahr« hat es immer nur in den Köpfen der christlichen und dann der rassistischen Ideologen gegeben. Wie die Geschichte bewiesen hat, sind sie und nicht ihre jüdischen Mitbürger für die Schrecken verantwortlich, die aus diesem Hass erwachsen sind.
73
75
73
75
false
Ein neues Denken erwacht
Das Mittelalter kennt natürlich nicht nur den Handel oder die Baukunst, sondern entwickelt auch eigene philosophische Denksysteme. Für sie wird im Allgemeinen der aus dem griechischen stammende Sammelbegriff Scholastik (Schulwissenschaft) verwendet. Seit dem 9. Jahrhundert versuchen die Scholastiker die Welt zu deuten und zu erklären. In ihrer Vorgehensweise ist ihr Denken nahezu vollkommen abhängig von den Vorgaben der Theologie. Die Scholastiker berufen sich in ihren Thesen auf die Texte der Kirchenväter und die Kirchenschriften. In ihnen sind die Glaubenswahrheiten bereits unumstößlich verkündet. Nun gilt es, die christlichen Dogmen rational zu begründen, zu verteidigen und zu systematisieren. Sie stützen sich dabei auch auf die antike Philosophie, im Besonderen auf die Werke des Aristoteles. Zu den bedeutendsten Scholastikern |74| zählen der deutsche Dominikanermönch Albertus Magnus und sein Schüler, der italienische Adlige Thomas von Aquin. Beide leben und wirken im 13. Jahrhundert. Die Werke dieser Philosophen und Theologen sind wohl in allen geistlichen wie weltlichen Bibliotheken des Mittelalters zu finden. Der Einfluss des scholastischen Denkens zeigt sich nicht zuletzt darin, dass seine Vertreter die Lehrstühle in den mittelalterlichen Universitäten besetzen, die zunächst in Italien (Bologna 1154, Padua 1222), Frankreich (Paris 1174, Toulouse 1224), England (Oxford 1168, Cambridge 1209) oder auf der Iberischen Halbinsel (Salamanca 1224, Lissabon 1289) gegründet werden. Die Unterrichtssprache ist Latein. Deutsche Universitätsgründungen sind erst im 14. Jahrhundert zu verzeichnen. Ihre Älteste genehmigt Karl IV. 1348 in Prag. Wien folgt 1365 und Heidelberg 1386.
Die Scholastik hat das geistige Mittelalter geprägt und bereichert. In ihrer Spätzeit aber verkommt sie zur dogmatischen Berufung auf die Schriften der kirchlichen Autoritäten und wird zur erstarrten Schulweisheit. Sie verhindert geistige Kreativität, verliert sich in endlosen Zitaten und klammert sich engstirnig an das Wort. Im Prinzip ist diese Verengung der Spätscholastik, die letztlich einem Denkverbot gleichkommt, auch in der Neuzeit immer wieder anzutreffen. Das freie Denken, das Hinterfragen der geistigen und moralischen Vorgaben, Vorschriften und Ideologien der staatlichen oder religiösen Autoritäten hat noch im 20. und im beginnenden 21. Jahrhundert Millionen Menschen das Leben gekostet.
In der europäischen Geistesgeschichte, die ihre frühen Wurzeln im Mittelalter hat, spielt schließlich der so genannte Humanismus eine bedeutende Rolle. Hierunter verstehen wir eine geistige Bewegung, die den Menschen durch die Erschließung der griechischen und römischen Kulturwelt geistig und charakterlich bilden will. Zunächst von der Scholastik verdrängt, erlangt sie im 14. Jahrhundert vor allem in Italien eine große Bedeutung. Im Gegensatz zur Scholastik, die in erster Linie von Theologen gelehrt und verbreitet wird, erhält die humanistische Philosophie ihre wichtigsten Impulse von Staatsbeamten, Juristen, Lehrern, Schriftstellern oder sonstigen Angehörigen des Bürgertums. Zu den berühmten Humanisten dieser Zeit gehören die Italiener Petrarca und Boccaccio.
Weitere Kostenlose Bücher