Die Geschichte der Deutschen
verändern.
Im 16. Jahrhundert ist das der Fall. Der Buchdruck, der veränderte Blick der Humanisten auf die weltlichen und kirchlichen Denkgebäude, die Gewissheit, dass nicht die Erde, sondern die Sonne das Zentrum unseres Planetensystems bildet, die Reformation, die sich neu herausbildende Mächtebalance zwischen Königtum und den mitregierenden Ständen – das vielfältige Neue dringt in den Alltag der Menschen ein und schafft Distanz zu Traditionen, die über Jahrhunderte als unumstößlich gegolten haben. Vielleicht ist diese Zeit ein wenig mit der unsrigen zu vergleichen. Auch wir erleben technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einschnitte, die sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts angekündigt haben. Haben wir vor 40 Jahren wirklich gewusst, welche Rolle das Fernsehen bald für unseren Alltag, aber auch für die politische Meinungsbildung spielen würde? Haben wir vor 25 Jahren schon geahnt, dass der Computer unsere Arbeit in den Fabriken, Büros, Verwaltungen und unserer privaten Welt revolutionieren würde? Hat nicht das Internet und das Handy in den letzten zehn Jahren die Kommunikation in unserer Gesellschaft total verändert? Familienleben, Arbeitswelt, Unternehmenskultur, Kommunikation, die Suche nach einer neuen Weltordnung – nichts scheint mehr so zu sein, wie es gewesen ist. Nach 500 Jahren hat eine neue Neuzeit begonnen.
Das 16. Jahrhundert ist bald erfüllt vom Widerhall blutiger Glaubenskriege. Sie werden auch Frankreich, England oder die Niederlande erschüttern. Aber |78| kein Land so wie Deutschland. Der Streit um den richtigen Glauben macht das geschwächte Land in der Mitte des Kontinents zum Kampfplatz der europäischen Mächte. Vom Süden her drängt Spanien nach Mittel- und Westeuropa. Im Westen versucht Frankreich die Landesgrenzen bis an den Rhein vorzuschieben. Im Osten ist ein mächtiges polnisches Reich entstanden und die Türkeneinfälle bleiben ein nicht nachlassender Schreckensmoment. Im Norden warten die Dänen und die Schweden auf den Augenblick, der ihnen das Tor nach Norddeutschland und Pommern öffnet.
Mit Blick auf Deutschland sprechen die Geschichtsschreiber häufig vom Alten Reich, wenn sie von den Jahren zwischen 1500 und 1806 berichten. Damit wollen sie einmal den langen Namen »Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation« umgehen, zum anderen setzen sie diese Epoche damit vom neuen Kaiserreich ab, das 1871 gegründet wird. Um 1500 beginnt das Zeitalter, in dem sich die europäischen Nationalstaaten herausbilden, wie wir sie heute kennen. Frankreich, Spanien oder England entwickeln zentrale Herrschaftssysteme. Das Reich der Deutschen dagegen bleibt weiterhin machtpolitisch ein bunter Teppich. Es ist kaum mehr als der Dachverband, der den Territorien übergestülpt worden ist. Seine Kaiser und Könige werden später immer mehr zum Spielball der Kurfürsten und Landesherren. Zunächst aber bleiben sie noch ein Machtfaktor im deutschen Kräftespiel. Und die Religion übernimmt dabei in ganz Europa eine neue, wichtige, im Falle Deutschlands besonders verhängnisvolle Rolle.
Ein Jahr nachdem Columbus zu seiner legendären Seereise aufgebrochen ist, wird der Habsburger Maximilian I. deutscher König. Unter seiner Herrschaft kommt es auf Drängen der Kurfürsten zu wichtigen Reformbeschlüssen. Auf dem Reichstag von Worms verkünden sie den »Ewigen Landfrieden«. Er soll die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Gewalten, die in Deutschland herrschen, in friedlichere Bahnen lenken. Reichsfürsten, Reichsgrafen, die geistlichen Würdenträger, der Reichsrat, also die Vollversammlung der Reichsstände, dazu die sich weitgehend selbst regierenden Städte – hier sammeln sich die politischen Kräfte, die über die Geschicke Deutschlands bestimmen. Die wichtigsten Entscheidungen fallen auf den regelmäßigen Treffen der Kurfürsten, deren machtpolitisches Privileg die Königswahl ist. Sie sind die eigentlichen Herrscher im Reich.
Reichshofrat und Reichskanzlei werden in Wien angesiedelt, wo die Habsburger residieren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen stellen sie bis 1806 die Kaiser des »Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation«. Damit gewinnt Wien eine große Bedeutung für die Reichspolitik, ein zentrales Machtzentrum |79| wird die Stadt an der Donau dennoch nicht. Kaum weniger wichtig ist, was in Dresden, Stuttgart, München, Frankfurt oder Mainz entschieden wird. Frankreich begründet sein politisches Zentrum in Paris, England
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