Die Geschichte der Deutschen
den Tagen in Hambach verhaftet, sofern ihnen nicht die Flucht ins Ausland gelingt.
In Frankfurt stürmen am 3. April 1833 Studenten und Handwerker die Hauptwache. Sie wollen am Sitz des Bundestages eine revolutionäre Zentralgewalt errichten und mit ihrem Putsch ein Signal zum allgemeinen Aufstand gegen die Fürstenherrschaft geben. Die Wache wird erobert, es gibt einige Tote und Verwundete. Die Frankfurter Stadtbehörden sind durch einen Verräter von dem Unternehmen unterrichtet worden. So kann das rasch anrückende Militär dem Spuk ein Ende machen. Auch diese Episode löst unter den Liberalen und Demokraten ein weithallendes Echo aus.
|129| Georg Büchner (1813–1837)
An der Straßburger Universität studiert ein schmal gewachsener junger Mann zur Zeit des Frankfurter Wachensturms Medizin, Geschichte und Philosophie. Er kennt einige der Wachenstürmer und ist über den Putschversuch vorher informiert. An seine Eltern schreibt er: »Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unseren Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligen, wurde ihnen durch die Nothwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen, wie eine erbettelte Gnade und ein elendes Kinderspielzeug, um den ewigen Maulaffen Volk sein zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen.« Zum Wachensturm meint er: »Man wirft den jungen Leuten Gewalt vor. Sind wir aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, dass wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Mund.«
Diese bitteren und die Zeit treffend schildernden Sätze stammen von Georg Büchner. Er wird als Sohn eines Arztes in Goddelau bei Darmstadt geboren. 1831 beginnt er sein Medizinstudium in Straßburg. Nach dem Wechsel an die Gießener Universität findet er schon bald Kontakt zur radikalen politischen Freiheitsbewegung, die im Hessischen eine starke Basis hat. 1834 gründet Büchner die geheime »Gesellschaft für Menschenrechte«. Im Juli desselben Jahres schreibt er eine revolutionäre Kampfschrift, den Hessischen Landboten. Die Auflage ist klein, der Text aus der Feder eines großen Dichters. Es ist ein fulminanter Aufruf zum Kampf der Armen gegen die Reichen: »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« Ein sozialrevolutionäres Motto, dem Büchner seine geschliffen formulierten Fürstenanklagen folgen lässt. »Im Jahr 1834 siehet es so aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am 5ten Tage, und die Fürsten und Vornehmen am 6ten Tage gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: Herrschet über alles Gethier, das auf Erden kriecht, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag, sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigene Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. Der Bauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit dem Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und lässt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tisch des Vornehmen.«
|130| Zu jener Zeit beschäftigt sich Büchner intensiv mit der Französischen Revolution. Der Grund: Er arbeitet an dem Stück Dantons Tod und greift darin das Schicksal des Revolutionärs Georges Jacques Danton auf, der später, als er zur Mäßigung aufrief, unter das Fallbeil kam – wie die Adligen, die er bekämpfte. Als die zweite Auflage seines Hessischen Landboten erscheint, ist die Geduld der Obrigkeit erschöpft. Die Polizei schlägt zu. Viele von Büchners Gefährten werden verhaftet und erleiden langjährige Gefängnisstrafen. Er selbst wird steckbrieflich gesucht, kann aber kurz vor seiner Festnahme in die Schweiz fliehen. In Zürich arbeitet der so hoch Begabte, der den revolutionären Kräften im Deutschen Bund seine Stimme gegeben hat, an einer Habilitation als Privatdozent für vergleichende Anatomie. Das Thema: »Über Schädelnerven«. Erst 24jährig stirbt er an Typhus.
Die dramatische Kraft seiner Theaterstücke, die Modernität, mit der Büchner seine Figuren zeichnet, hat erst das 20. Jahrhundert erkannt. Auch in unserer Zeit reizt es die Regisseure immer
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