Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
Ausgestoßener und Geächteter. Ihr könnt mich durchsuchen, wenn ich tot bin, aber es wird euch teuer zu stehen kommen, die Wahrheit meiner Worte zu überprüfen! Viele von euch werden wohl vorher sterben.«
Dennoch schien ihm der Tod gewiss zu sein, waren doch viele Pfeile bereits angelegt und warteten nur auf den Befehl des Hauptmanns, und obwohl Túrin unter seinem grauen Rock und Mantel eine Elbenrüstung trug, würden einige davon mit Sicherheit ihr Ziel finden. Keiner der Feinde stand so nahe, dass Túrin ihn mit einem schnellen Sprung und gezücktem Schwert hätte erreichen können. Da sah er am Flussufer vor seinen Füßen ein paar Steine liegen. Plötzlich bückte er sich, und im selben Augenblick ließ einer der Männer, durch Túrins Worte gereizt, den Pfeil von der Sehne schnellen. Doch das Geschoss flog über Túrin hinweg, und aufschnellend wie eine Bogensehne warf diesermit großer Kraft und sicherer Hand einen Stein auf den Schützen, dass dieser mit zerschmettertem Schädel zu Boden stürzte.
»Lebend könnte ich euch von größerem Nutzen sein, an Stelle dieses glücklosen Mannes«, sagte Túrin, und an Forweg gewandt fügte er hinzu: »Wenn du hier der Hauptmann bist, solltest du diesen Männern nicht erlauben, ohne Befehl zu schießen.«
»Ich habe es ihm nicht erlaubt«, antwortete Forweg, »aber er ist schnell genug dafür bestraft worden. Ich will dich an seiner Statt aufnehmen, wenn du meine Befehle besser befolgst.«
»Das werde ich«, sagte Túrin, »soweit du der Hauptmann bist und in allem, was einem Hauptmann gebührt. Doch die Wahl eines neuen Mitglieds einer Kameradschaft ist nicht allein seine Sache, wie ich meine. Alle Stimmen sollten gehört werden. Gibt es jemanden hier, der mich nicht willkommen heißt?«
Darauf erhoben zwei der Geächteten die Stimme wider ihren Anführer, von denen einer, Ulrad mit Namen, ein Freund des Getöteten war. »Eine merkwürdige Art, sich Zutritt zu einer Bande zu verschaffen«, sagte er, »indem man einen ihrer besten Männer tötet.«
»Ich bin herausgefordert worden«, gab Túrin zur Antwort, »aber kommt nur her! Ich will es mit euch beiden aufnehmen, mit Waffen oder mit bloßen Händen. Dann werdet ihr sehen, dass ich der Richtige bin, einen eurer besten Männer zu ersetzen.« Mit diesen Worten trat er ihnen kampfbereit entgegen, aber Ulrad wich zurück und wollte nicht kämpfen. Der zweite Mann warf seinen Bogen zu Boden und ging auf Túrin zu. Dieser Mann war Andróg aus Dor-lómin. Er blieb vor ihm stehen und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
»Nein«, sagte er schließlich und schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Feigling, wie man weiß, aber mit dir kann ich es nicht aufnehmen. Ich denke, das kann keiner von uns. Was mich betrifft, so magst du dich uns anschließen. Aber da ist ein seltsamer Glanz in deinen Augen; du bist ein gefährlicher Mann. Wie heißt du?«
»Neithan, der Gekränkte, nenne ich mich«, sagte Túrin, und so wurde er später auch von den Geächteten genannt. Aber obwohl er ihnen erzählte, dass er eine Ungerechtigkeit erlitten habe (und für jeden, der dasselbe von sich behauptete, jederzeit ein offenes Ohr hatte), verriet er doch nichts weiter über sein Leben oder über seine Heimat. Aber es blieb ihnen nicht verborgen, dass er einem höheren Stand angehört hatte, und wenn er auch nichts als seine Waffen besaß, waren diese doch von Elbenschmieden gemacht. Er gewann bald die Achtung der Männer, denn er war stark und tapfer und fand sich in den Wäldern besser zurecht als sie. Sie vertrauten ihm, denn er war nicht habgierig und dachte kaum an sich selbst. Aber sie fürchteten ihn auch wegen seiner plötzlichen Zornesausbrüche, die sie selten verstanden.
Nach Doriath konnte er nicht zurückkehren oder wollte es nicht, weil er stolz war; zu Nargothrond war nach dem Tod Felagunds niemandem der Zutritt gestattet. Zu dem niederen Volk Haleths nach Brethil widerstrebte ihm zu gehen, und nach Dor-lómin wagte er sich nicht, denn es war völlig eingeschlossen, und ein Mann allein konnte in diesen Zeiten nicht darauf hoffen, die Pässe des Schattengebirges zu überwinden. So blieb Túrin bei den Geächteten, weil menschliche Gesellschaft die Mühsal des Lebens in denWäldern leichter ertragen half. Und weil er seinen eigenen Kopf durchsetzte und sich nicht an jedem ihrer Streifzüge beteiligte, unternahm er wenig, um sie von ihren Untaten abzuhalten. So gewöhnte er sich bald an ein hartes und oft grausames Leben, doch
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