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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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PINELAWN-FRIEDHOF VERSTÄNDIGEN ICH HABE EINE GRABSTELLE IM JÜDISCHEN TEIL VIELEN DANK FÜR IHRE BEMÜHUNGEN.
    Ich drehte das Buch meines Sohnes auf die Rückseite, um sein Foto anzusehen. Einmal haben wir uns getroffen. Nicht getroffen, aber von Angesicht zu Angesicht gestanden. Es war bei einer Lesung im 92 nd Street Y. Ich hatte die Karte vier Monate im Voraus gekauft. Oft in meinem Leben hatte ich mir unser Treffen vorgestellt. Ich als sein Vater, er als mein Sohn. Trotzdem, ich wusste, es würde nie geschehen, nicht so, wie ich wollte. Ich hatte akzeptiert, dass ich mir höchstens einen Platz im Publikum erhoffen konnte. Aber während der Lesung überkam es mich. Danach fand ich mich in der Schlange wieder, mit zitternden Händen, als ich ihm den Papierschnipsel, auf den ich meinen Namen geschrieben hatte, in seine drückte. Er sah kurz hin und übertrug ihn in mein Buch. Ich wollte etwas sagen, aber es kam kein Ton heraus. Er lächelte und bedankte sich. Und doch. Ich rührte mich nicht. Ist noch etwas? , fragte er. Ich fuchtelte mit den Händen. Die Frau hinter mir warf mir einen ungeduldigen Blick zu und drängelte, um ihn zu begrüßen. Ich fuchtelte wie verrückt. Was sollte er machen? Er signierte das Buch der Frau. Es war unangenehm, für alle. Meine Hände tanzten weiter. Die Schlange musste um mich herum. Hin und wieder sah er verstört zu mir auf. Einmal lächelte er mich an wie einen Idioten. Aber meine Hände kämpften darum, ihm alles zu erzählen. Jedenfalls so gut sie konnten, bis ein Aufpasser mich fest am Ellbogen packte und mich vor die Tür begleitete.
    Es war Winter. Dicke weiße Flocken fielen unter den Straßenlaternen zu Boden. Ich wartete auf meinen Sohn, aber er kam nie. Vielleicht gab es eine Hintertür, ich weiß es nicht. Ich nahm den Bus nach Hause. Ging durch meine schneebedeckte Straße. Aus Gewohnheit drehte ich mich um und prüfte, ob meine Fußstapfen zu sehen waren. An der Haustür angelangt, suchte ich meinen Namen auf dem Klingelschild. Und weil ich wusste, dass ich manchmal Dinge sehe, die nicht da sind, rief ich nach dem Abendessen die Auskunft an und fragte, ob ich eingetragen sei. Ehe ich an diesem Abend schlafen ging, schlug ich das Buch auf, das ich auf mein Nachttischchen gelegt hatte. FÜR LEON GURSKY stand da.
    Ich hielt das Buch noch in der Hand, als der Mann, dem ich die Tür aufgeschlossen hatte, hinter mir auftauchte. Kennen Sie das? , fragte er. Ich ließ es fallen. Es landete mit einem dumpfen Knall vor meinen Füßen, das Gesicht meines Sohnes zuoberst. Ich wusste nicht mehr, was ich tat. Ich versuchte zu erklären. Ich bin sein Vater , sagte ich. Vielleicht auch: Er ist mein Sohn. Was auch immer, die Botschaft kam an, denn der Mann schien erst schockiert, dann erstaunt und sah mich schließlich an, als glaube er mir nicht. Was ich gut verstand, wer war ich denn, erst in einer Limousine vorzufahren, dann ein Schloss zu knacken und am Ende zu behaupten, der Erzeuger eines berühmten Schriftstellers zu sein.
    Plötzlich war ich müde, so müde wie seit Jahren nicht. Ich beugte mich vor, hob das Buch auf und stellte es ins Regal zurück. Der Mann sah mich noch immer an, aber da hupte draußen das Taxi, und das war ein Glück, denn für diesen Tag hatte ich genug vom Angesehenwerden. Gut , sagte ich, schon auf dem Weg zur Haustür, dann gehe ich wohl mal. Der Mann nahm sein Portemonnaie, zog einen Hundertdollarschein heraus und gab ihn mir. Sein Vater? , fragte er. Ich steckte das Geld ein und revanchierte mich mit einem Pfefferminz. Ich zwängte meine Füße in die nassen Schuhe. Nicht wirklich sein Vater , sagte ich. Und weil mir sonst nichts einfiel, sagte ich: Eher wie sein Onkel . Das schien ihn restlos zu verwirren, aber vorsichtshalber fügte ich hinzu: Nicht richtig sein Onkel. Er zog die Augenbrauen hoch. Ich nahm meinen Werkzeugkasten und trat in den Regen hinaus. Er versuchte sich noch einmal für mein Kommen zu bedanken, aber ich war schon auf halber Treppe. Ich stieg ins Auto. Er stand noch immer in der Tür und sah hinaus. Zum Beweis, dass ich wirklich von der Rolle war, winkte ich ihm mit geballter Faust.
    Es war drei Uhr morgens, als ich nach Hause kam. Ich kletterte ins Bett. Ich war erschöpft. Aber ich konnte nicht schlafen. Ich lag auf dem Rücken, lauschte dem Regen und dachte an mein Buch. Ich hatte ihm nie einen Titel gegeben, denn was braucht ein Buch einen Titel, wenn keiner es lesen wird.
    Ich stand auf und ging in die Küche. Ich

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