Die Geschichte eines Sommers
sich zum Bach, um seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Swan und Bienville krochen mit ein paar Cousins und Cousinen in ihrem Alter unters Haus, das auf Säulen errichtet war und fast anderthalb Meter über dem Boden stand, wo sie Krötenhäuser bauten. Dafür häufte man sich Erde auf die nackten Füße, klopfte diese gut fest und zog dann die Füße vorsichtig darunter hervor. Dadurch entstanden perfekte Behausungen, mit denen selbst die anspruchsvollsten Kröten zufrieden sein konnten.
Gegen drei Uhr hatte John Moses das dringende Bedürfnis nach einem Drink. Seit er aufgewacht war, hatte er gegen den Drang angekämpft. Er hatte schon geglaubt, er würde die Schlacht gewinnen, doch dann verließ ihn der Kampfgeist, und er beschloss, ein Drink könne nicht schaden. Schließlich wolle er sich ja nicht bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, dafür fühlte er sich viel zu gut. Er erhob sich und verkündete feierlich, ins Bad zu müssen.
Seine Kinder tauschten besorgte Blicke. Selbst John Moses entging die Reaktion nicht.
»Hat irgendwer was dagegen?«, fragte er. Schließlich hatte er genauso das Recht, ins Bad zu gehen, wie alle anderen auch.
Niemand gab einen Ton von sich.
»Nun ja, wenn also niemand was dagegen hat …«, sagte John und bewegte sich Richtung Haus.
Etwa eine Minute lang schwiegen alle. Sie saßen da, als hätte man sie aus einem schönen Traum geweckt. »Verdammt noch mal«, sagte Alvis schließlich, »und ich hab geglaubt, wir hätten’s überstanden.«
Willadee kaute heftig an ihren Lippen und versuchte zu entscheiden, ob sie ihrem Vater folgen und ihn daran hindern sollte, sich zu betrinken und das Familienfest zu verderben. Aber dann erinnerte sie sich an das Bier, das sie letzte Nacht getrunken hatte, und wie angenehm kaputt sie hinterher gewesen war, und sie dachte, dass ein kleiner Drink ja vielleicht gar nichts verderben würde. Vielleicht würde ihr Vater sich nur ein wenig entspannen, dann schlafen gehen, und das war’s. Sie blieb auf ihrem Gartenstuhl sitzen.
Calla stand auf und holte sich einen sauberen Pappteller. »Ich glaube, ich habe Eudoras Hermann-Kuchen noch gar nicht probiert«, sagte sie. »Soll ich jemandem ein Stück mitbringen, wenn ich schon mal stehe?«
John ging durchs Haus in die Bar und ließ sich auf den erstbesten Barhocker fallen. Eigentlich hatte er sich heute zusammenreißen und nichts trinken wollen. Er wollte doch, dass alle stolz auf ihn waren. Und er hatte auch den ganzen Nachmittag das Gefühl gehabt, als seien sie stolz auf ihn.
Nachdem er sich die ersten zwei Finger breit Johnny Walker eingeschenkt und heruntergekippt hatte, war er zu der Erkenntnis gelangt, dass alle – bis auf Willadee, die über jeden Vorwurf erhaben war – ihm nur etwas vorgemacht hatten, um ihn dazu zu bringen, nüchtern zu bleiben. Beim nächsten Mal schenkte er sich drei Finger breit ein. Willadees Gesicht tauchte verschwommen vor ihm auf, also kniff er die Augen fest zu, um sie nicht mehr sehen zu müssen.
»Verschwinde von hier, Willadee«, befahl er, doch sie weigerte sich zu gehen.
»Ich hab gesagt, du sollst verschwinden. Wenn alle weg sind, können wir beide zusammen ein Bier trinken und darüber reden.«
Als er die Augen wieder öffnete, war das Bild von Willadee verschwunden.
»Wo ist Walter?«, fragte John Moses. Er war durchs Haus zurückgegangen und betrat nun die seitliche Veranda. Sie war voller Menschen, genauso wie der Hof. Es waren mehr Menschen, als John verkraften konnte, zumal er eh nur nach einem Gesicht Ausschau hielt, das aber nirgendwo zu sehen war.
Plötzlich war es ganz still geworden, selbst der Wind hatte aufgehört zu wehen.
»Ich hab gefragt, wo Walter ist!«, grölte John.
Toy saß auf der Hollywoodschaukel und hatte den Arm um seine Frau Bernice gelegt, die auffallend hübsch war, obwohl sie schon fünfunddreißig war und eigentlich langsam anfangen sollte, alt zu werden. Toy stand auf und ging zu seinem Vater hinüber.
»Walter ist heute nicht hier, Daddy.«
»Was redest du da, zum Teufel?«, fragte John lallend. »Walter würde niemals ein Familienfest der Moses versäumen.«
Dann erinnerte sich John, warum Walter nicht da war. »Du hättest ihn nicht zur Arbeit gehen lassen sollen, Toy. Du hättest ihn niemals gehen lassen dürfen, als er sich nicht gut fühlte, und das weißt du auch.«
Toy sah plötzlich ganz elend aus.
»Du hast ja recht, Daddy, und ich weiß das.«
»Aufgerissen wie ein Schlacht…«, begann John,
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