Die Geschichte eines Sommers
sie nett sein wollte, schenkte sie ihm ein Glas Jack Daniel’s ein.
Hobart nahm den Drink, hielt ihn sich unter die Nase und schnupperte daran, während er seinen Blick forschend durch den Raum schweifen ließ.
»Wie ich sehe, ist dein Inventar noch nicht zurück«, sagte er.
»Was denn für ein Inventar?«
»Der Holzfäller. Dieser Säufer. Bootsie Phillips.«
Hobarts Stimme hatte einen abfälligen Unterton, der Willadee nicht gefiel und den sie auch nicht durchgehen lassen wollte.
»Erstens«, sagte sie, »ist Bootsie ein Freund von mir. Und zweitens: Woher willst du überhaupt wissen, wie lange er schon weg ist, wo du doch gerade erst reingekommen bist?«
Hobart kicherte vor sich hin und trank einen Schluck Jack Daniel’s. »Wahrscheinlich weiß mittlerweile fast jeder hier in der Gegend, wo Bootsie heute Abend war«, sagte er. »Wieso hat dein Mann nur einen solchen Dummkopf für eine geheime Mission ausgewählt?«
»Sieht so aus, als wären meine Tage im Revival-Zelt vorbei«, sagte Samuel später zu Willadee, als sie nebeneinander im Bett lagen.
Die Klatschmäuler hatten ihren Spaß gehabt, allen nach dem Gottesdienst zu erzählen, Bernice Moses sei deshalb nicht erschienen, weil sie sturzbetrunken im Badezimmer auf dem Boden gelegen hatte, dazu noch splitterfasernackt und so mit Schlehenlikör besudelt, dass Bootsie Phillips, als er sie fand, geglaubt hatte, sie würde verbluten.
»Nur wegen Bernice brauchst du das Revival doch nicht gleich zu beenden«, redete Willadee ihm zu. »Es gibt genügend Leute, die dir mit der Musik helfen können.«
»Aber nicht jeden Abend«, sagte er. »Und außerdem sollen Revivals ja auch nicht ewig stattfinden. Und wenn die Besucherzahlen weiterhin zurückgehen, könnte ich schon bald Schulden bei der Mietfirma haben, und dann stehe ich noch schlechter da als zu Anfang.«
Beide schwiegen einen Augenblick lang, dann sagte Samuel mit schwerer Stimme: »Ich weiß wirklich nicht mehr, was Gott von mir will.«
Willadee hatte keine Ahnung, was sie darauf antworten sollte, aber sie war sich sicher, dass er Trost brauchte, also nahm sie ihn in den Arm und wiegte ihn wie ein Baby.
Während der nächsten Tage brachte Samuel das Zelt, die Klappstühle und die Lautsprecheranlage der Mietfirma zurück und begann dann Callas vernachlässigtes Land in Ordnung zu bringen. Er entfernte Gestrüpp und Büsche und verbrannte sie. Zersägte umgestürzte Bäume zu Brennholz. Die harte körperliche Arbeit erfüllte ihn mit einer gewissen Befriedigung und hätte ihm eigentlich viel Zeit gegeben, um mit Gott zu reden, doch er wusste wirklich nicht mehr, was er ihm sagen sollte. Samuel hatte das Gefühl, dass zur Abwechslung jetzt Gott mal an der Reihe war zu reden.
Niemand in der Familie redete viel über Bernice. Statt die Stadt zu verlassen, hatte sie sich für eine Art Raubzug entschieden. Sie warf sich Männern jeden Alters an den Hals und sorgte dafür, dass alle Welt davon erfuhr.
Toy war am Boden zerstört. Da die Wahrheit nun so offenkundig war, dass er nicht mehr darüber hinwegsehen konnte, hatte er das verloren, was ihm in seinem Leben am meisten bedeutet hatte. Bis auf die Kinder. Er liebte sie so sehr, dass es schon wehtat, und doch konnte er im Augenblick keine Menschen ertragen. Zwar musste er immer noch jede Nacht im »Never Closes« arbeiten und bis Tagesanbruch hinter der Theke stehen, redete aber kaum noch mit den Gästen, was diese respektierten und verstanden. Jedem war klar, dass Toy am liebsten selbst auf Raubzug gegangen wäre und wie wild um sich geschlagen hätte. Und dass er Angst hatte, er könnte es tatsächlich tun, wenn er sich von anderen Menschen zu sehr bedrängt fühlte.
Also blieb Toy für sich und verbrachte jede Minute, in der er nicht arbeitete oder schlief, im Wald oder am Wasser. Doch das schien alles nur noch schlimmer zu machen, weil ihn alles Schöne, was er sah, an das Schöne erinnerte, das er verloren hatte.
Irgendwann konnte er selbst die geringste Bequemlichkeit nicht mehr ertragen und schlief fortan statt in seinem Zimmer auf einem alten Feldbett hinten im Schuppen. Dort hatte er kaum genügend Platz, sich einmal um die eigene Achse zu drehen. Doch mehr Platz brauchte er nicht.
Wenn Willadee ihm seine Mahlzeiten brachte, stellte sie das Essen vor den Schuppen. Begegneten sie sich zufällig, dann redeten sie ein paar Minuten über belanglose Dinge. Toy wollte derzeit eigentlich mit niemandem reden, und Willadee akzeptierte das.
Die
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