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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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logischen Grund, sich deshalb schuldig zu fühlen. Samuel musste bloß darauf achten, sich fair gegenüber den Leuten auf seiner Liste von potentiellen Kunden zu verhalten und sie nicht zu übervorteilen.
    Würde er jetzt noch diesen Auftrag an Land ziehen, wären das schon zwei Schecks, die er der Eternal Rock Monument Company übergeben könnte – und er würde zwei Mal Provision erhalten. Samuel käme also mit Geld in der Tasche nach Hause, aber nicht nur das, denn nächste Woche könnte er zudem die Ratenzahlungen für die Grabsteine kassieren, die er in dieser Woche verkauft hatte. Rein theoretisch könnte sich dieses Geschäft immer weiterentwickeln, bis er schließlich ein beträchtliches Einkommen erzielen würde, ohne neue Aufträge zu schreiben.
    Doch Samuel war kein naiver Mensch. Also war ihm auch klar, dass sich die Dinge keineswegs so rosig entwickeln würden. Stand der Grabstein erst einmal auf dem Grab, würden die Kunden die Ratenzahlungen wahrscheinlich zunächst als ärgerlich empfinden, dann als Belastung und schließlich, mit Verweis auf den unchristlich hohen Zinssatz, als eine unverschämte Forderung. Doch Samuel würde die Dinge einfach auf sich zukommen lassen. Im Augenblick jedenfalls hielt er Ausschau nach dem Birdwell-Briefkasten und hoffte, noch nicht am Haus vorbeigefahren zu sein. Gleichzeitig fragte er sich aber auch, ob er nicht besser gleich nach Hause fahren sollte, denn das Wetter wurde von Minute zu Minute schlimmer.
    Er überlegte gerade, ob er in die Einfahrt einbiegen oder umkehren sollte, als der Himmel seine Schleusen öffnete. Es goss wie aus Kübeln, sodass man seine Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Der Wind erwachte mit ungeheurer Kraft zu neuem Leben, peitschte gegen Sams Auto und schaukelte es hin und her. Falls das Auto nicht abhob und davonflog – was im Augenblick durchaus möglich schien –, würde Sam Lake nirgendwo mehr hinkommen. Was auch immer gerade zu Hause passierte, er hatte keine Chance mehr, zu seiner Familie zu fahren und ihr zu helfen. Also tat er etwas, von dem er sich in dieser Situation am meisten erhoffte.
    Er stellte den Motor ab, nahm seine Bibel vom Beifahrersitz, presste sie an sein Herz und begann mit ruhiger Stimme zu beten. Vom Klang seiner Stimme her hätte er genauso gut gerade seinen besten Freund um ein Glas Wasser bitten können.
    »Herr«, sagte er, »ich bitte dich nur um eines, nur um eine einzige Sache. Sollte der Sturm auf Callas Haus zurasen, lass ihn das Haus verschonen.«
    Zwei Stunden später, als das Wetter sich wieder beruhigt hatte und der Himmel sich im Westen lila und golden verfärbte, fuhr Samuel über einen Hügelkamm, der etwa eine halbe Meile von Callas Haus entfernt lag. Von hier oben aus konnte Samuel die gesamte Moses-Farm überblicken. Seinem ersten Eindruck nach war so manches, was dort einmal gestanden hatte, quer über den Süden von Arkansas verstreut worden. Samuel musste einfach anhalten und aussteigen. Einige Minuten lang stand er fassungslos da. Es sah so aus, als wäre ein Bulldozer durch den Wald gebrettert, hätte Bäume niedergemäht, als wären sie nichts als hohes Gras, um sich dann schnurstracks auf das Haus zuzubewegen. Ein altes Futtersilo war im Weg gewesen, er hatte es zu Kleinholz gemacht. Ein nicht mehr benutztes Plumpsklo war im Weg gewesen – platt. Auch Callas Hühnerstall war im Weg gewesen, doch der war verschont geblieben, weil der Wirbelsturm plötzlich abgedreht und einen Halbkreis um den Hof, die angrenzenden Nebengebäude und das Wohnhaus beschrieben hatte, bevor er mit neuer Kraft auf seinem Pfad der Zerstörung weitergerast war.
    Samuel kniete sich mitten auf der schlammigen Straße nieder und blickte gen Himmel. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten.
    »Alles, was du von mir verlangst, Herr«, sagte er. »Alles, was du willst.«
    Den restlichen Nachmittag half Samuel Toy, die Trümmer zu beseitigen und den Schaden abzuschätzen, den der Sturm angerichtet hatte.
    »Es wird wohl eine ganze Weile dauern, alles wieder aufzubauen«, sagte Samuel, als sie eine Verschnaufpause einlegten.
    »Eigentlich eher nicht«, erwiderte Toy und wies auf alles, was zerstört worden war. »Das Plumpsklo brauchen wir nicht mehr, schließlich haben wir eine Toilette im Haus. Genauso das Silo. Wir haben kein Vieh mehr, das wir füttern müssen. Diesen Zaun dahinten werde ich abreißen, der fiel sowieso schon auseinander. Und die ganzen Ställe waren auch schon voller Ratten und

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