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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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könnten, also hätten sie auch keine Mühe, sich durch einen Jungen hindurchzuknabbern.
    Blade saß in einem Raum, dessen Boden aus nackter Erde bestand, und das bereits seit Stunden. Er wusste nicht genau, wie lange.
    Die Dunkelheit hier drinnen war schwärzer als schwarz. Undurchdringlich. Wenn Ras Ballenger schon mal etwas baute, dann baute er es luftdicht und stabil. Nirgendwo war auch nur ein winziger Spalt, durch den Licht eindringen konnte, falls es draußen hell war. Blade hatte keine Ahnung, ob es Tag oder Nacht war, aber er nahm an, dass es Nacht war, weil er Blue nicht brabbeln und seinen Daddy nicht antworten hörte. Auch die Hunde bellten und heulten nicht. Es herrschte nur absolute Stille.
    Er war nackt. So nackt, wie er im Schwimmloch gewesen war, als er plötzlich ein lautes Platschen gehört hatte, den Kopf gedreht und gesehen hatte, wie das Wasser aufspritzte, als ob jemand oder etwas auf die Oberfläche geprallt und dann untergegangen wäre. Sofort schlug ihm das Herz bis zum Hals. Er wusste, was das zu bedeuten hatte. Oder glaubte es zu wissen. So schnell er konnte, begann er ans Ufer zu schwimmen, doch dann tauchte unter ihm etwas aus der Tiefe auf, packte ihn am Fuß, zog ihn unter Wasser und hielt ihn dort eine gefühlte Ewigkeit lang fest.
    Er kämpfte, doch es nützte nichts. In dem klaren hellgrünen Wasser des Schwimmlochs konnte er das Gesicht seines Daddys sehen, das ihn angrinste, als wäre das alles nur ein Spiel, das er gewinnen würde.
    Blade hatte mal gesehen, wie sein Daddy mit bloßen Händen einen Wels gefangen hatte. So schnell war er. Jetzt fühlte Blade sich, wie sich dieser Wels gefühlt haben musste: hoffnungslos gefangen.
    Dann war es vorbei. Sein Vater zerrte ihn ans Ufer und warf ihn zu Boden. Während er dort lag, nach Luft schnappte und Wasser erbrach, legte er Blade einen Führstrick um den Hals. Einen Führstrick! Als wäre er ein Pferd, das in die Scheune gebracht werden sollte, um dort von zwei Seiten festgebunden zu werden. Ras ließ das Ende des Stricks am Boden liegen, während er sich anzog – er hatte seine Sachen hastig von sich gerissen, bevor er in das Schwimmloch gesprungen war –, doch als Blade versuchte, sich den Strick vom Hals zu nehmen, griff Ras sofort nach ihm und zog so fest daran, dass Blade fürchtete, ihm würde der Kopf abgerissen. Also versuchte er es kein weiteres Mal, sondern verhielt sich ruhig und wartete auf eine neue Chance.
    Doch es gab keine neue Chance. Ras trieb ihn durch den Wald nach Hause vor sich her und ließ Bienvilles Sachen am Ufer des Bachs liegen.
    Und nun war er hier.
    Er fror. Mitten im Sommer lag er zusammengekauert da und zitterte. Am liebsten hätte er Muster in den Boden gezeichnet, weil ihn das immer tröstete, aber er wagte nicht, sich zu bewegen. Ihm graute davor, auf was er stoßen könnte, und er fürchtete sich vor den Tausenden von pelzigen kleinen Tieren, die aus ihren Verstecken kommen könnten. Wimmelnde, hungrige Viecher. Er fragte sich, ob Mäuse beim Fressen Lärm machten oder seine Schreie das einzige Geräusch sein würden. Und er überlegte, ob seine Mutter ihn hören und ihm helfen würde.
    Bisher war sie noch nicht aufgetaucht, dabei hatte er viel geschrien. Geschrien und gegen die Wände geschlagen, bis er keine Stimme mehr hatte und seine Fäuste blutig waren. Er konnte das Blut nicht sehen, aber schmecken, wenn er an seinen Händen lutschte, um den Schmerz zu lindern.
    Lange war es absolut still gewesen, aber nun hörte er eine Wachtel rufen, also war es vermutlich Morgen. Blade setzte sich auf. Alles tat ihm weh. Seine Hände, seine Arme, seine Beine, sein Hals. Seine Haut, seine Muskeln und seine Knochen. Er lauschte darauf, dass die Wachtel noch einmal rief, und als sie es tat, wusste er, dass der Tag angebrochen war.
    Weitere Geräusche ertönten, andere Vögel, die den Morgen begrüßten. Die Hunde wurden wach und bellten wütend.
    Dann knallte eine Tür. Blade war sicher, dass er eine Tür knallen gehört hatte. Er hoffte und fürchtete zugleich, dass er recht hatte. Und er hatte recht. Die Stimme seines Daddys schallte über den Hof, redete auf die Hunde ein und befahl ihnen, ruhig zu sein und sich wieder hinzulegen.
    Blade machte sich auf einiges gefasst.

23
    Swan war entschlossen, Blade Ballenger zu retten. Inzwischen waren drei Tage vergangen, und sie hatte es satt, nur ihre Zeit zu vertrödeln.
    Seit dem Morgen, als sie aufgewacht waren und ihre Geschenke noch auf dem Herd standen,

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