Die Geschichte eines Sommers
Weile für Blade zu fasten und zu beten. Willadee bot an mitzumachen, doch sie versicherten ihr schnell, dass das nicht nötig sei, sie hätten das Fasten und Beten auch allein ziemlich gut im Griff.
Willadee wiederum erzählte ihrer Mutter, was die Kinder planten, oder zumindest was sie glaubte, dass sie planten, und Calla Moses bekam feuchte Augen.
»Vielleicht sollten wir ja mit ihnen fasten und beten?«, schlug sie vor. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch keinen einzigen Tag gefastet und gebetet und hielt es ohnehin für übertrieben, für den Glauben auf Nahrung zu verzichten. Doch sie war so gerührt über das, was die Kinder beabsichtigten, dass sie sie gerne unterstützen wollte.
»Das hab ich ihnen auch schon angeboten«, antwortete Willadee. »Aber sie wollen das anscheinend zwischen sich und Gott ausmachen.«
Das konnte Calla gut nachempfinden. Sie war schon immer der Meinung gewesen, man sollte seine Beziehung zu Gott nach Möglichkeit für sich behalten.
Die Kinder hielten ihr Gebetstreffen in der Scheune ab und knieten auf den Decken, die auf ihren Wunsch hin noch immer dort lagen.
»Wenn Blade jemals wieder auftaucht«, hatte Swan erklärt, »wäre es doch schön, wenn ein kuscheliges Eckchen auf ihn wartet.«
Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er nie wiederkommen würde, und auch der Rest der Familie fand die Vorstellung schrecklich. Somit blieben die Decken an Ort und Stelle.
Noble leitete als der Älteste das Gebetstreffen, und das tat er sehr eindrucksvoll. Er war schon bei Gebetstreffen gewesen, als er noch so klein gewesen war, dass er sich gar nicht mehr daran erinnern konnte. Der Junge wusste einfach, wie man betete.
»Herr«, begann er, »Swan, Bienville und ich treten vor dich, um dich um Kraft zu bitten.«
»Amen!«, sagte Bienville.
»Ja, Herr!«, sagte Swan.
»Wir brauchen deine Hilfe, um Blade Ballenger aus den Händen des Bösen zu entrüsten«, sagte Noble.
»Zu entreißen«, korrigierte Bienville.
»Fahr fort mit deinem Gebet, Bruder Noble«, sagte Swan.
Noble betete weiter. Er betete so lange, bis Swan meinte, Gott habe nun genug gehört. Es gibt schließlich eine Zeit zum Beten und eine, um die Gebete in die Tat umzusetzen.
Eine Schwierigkeit bestand darin, die Kuhglocken am Läuten zu hindern, während sie sich dem Schlachtfeld näherten. Bienville hatte die gute Idee, die Klöppel mit alten Lumpen zu umwickeln und diese dann rasch, aber vorsichtig zu entfernen, wenn sie bereit zum Losschlagen waren.
Sie brauchten also Lumpen, was jedoch kein Problem war, denn Oma Calla hatte unter der Theke im Laden eine große Kiste voller Putzlumpen. Man musste sie nur irgendwie entwenden, ohne dass sie es bemerkte. Nicht dass Oma Calla besonders an ihren Putzlumpen gehangen hätte, sie hatte noch viele alte Kopfkissenbezüge, die sie zerreißen könnte, um daraus neue Lumpen zu machen, aber die Kinder wollten nicht, dass sie Fragen stellte.
Swan wurde die Aufgabe zuteil, Oma Calla abzulenken, während die Jungen sich die Lumpen ausborgten. Das Wort »stehlen« gehörte heute nicht zu ihrem Wortschatz. Man stahl einfach nicht, wenn man sich auf einer heiligen Mission befand.
Swan war nicht von gestern, und da sie bereits seit dem ersten Juni bei Oma Calla wohnte, wusste sie ganz genau, womit man todsicher deren Aufmerksamkeit erregen konnte. Sie ging zur Ladentür, steckte den Kopf nach drinnen und setzte eine schuldbewusste Miene auf, als hätte sie etwas ausgefressen. Anfangs hatte ihre Großmutter ständig geglaubt, sie hätte etwas ausgefressen, in letzter Zeit schien ihr Misstrauen nachgelassen zu haben, zumindest sprach Calla nicht mehr so viel darüber.
»Ich könnte vielleicht aus Versehen ein paar von deinen Blumen kaputt gemacht haben«, sagte Swan, als Oma Calla zu ihr herüberblickte. Nun ist Lügen zwar genauso schlimm wie Stehlen und führt wahrscheinlich ebenfalls dazu, dass Gott einer Rettungsaktion seinen Segen verweigert, doch Swan log nicht. Jedenfalls nicht so richtig. Sie hatte ja »vielleicht« gesagt.
»Und ich hab gedacht, ihr Kinder fastet und betet.«
»Das tun wir auch, aber ich musste noch was aus dem Haus holen, und da hab ich vielleicht nicht aufgepasst, wo ich hingetreten bin.«
»Ach, ich hab doch viele Blumen«, sagte Oma Calla gutmütig. »So viele, dass man kaum ums Haus herumgehen kann, ohne auf ein paar davon zu treten. Was meinst du denn, welche Blumen du vielleicht aus Versehen kaputt gemacht hast, als du vielleicht nicht
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