Die Geschichte von Liebe und Sex
gegen Juden und alle sonstigen »Ungläubigen« auf. Als Belohnung wurde die Vergebung aller Sünden zugesichert, wobei die Beutegier auf erhoffte »orientalische Schätze« ebenso Ansporn war. Die Kreuzzüge wurden zur Massenbewegung, der sich Halunken ebenso anschlossen wie arme Leute, religiöse Eiferer wie militärische Abenteurer. Aus dem Jahr 1212 wird selbst von einem Kinderkreuzzug berichtet. Tatsächlich gelang ihnen anfangs die Eroberung Jerusalems und für eine Weile sogar die Besetzung Konstantinopels. Bis zum Jahr 1303 hatten die Christen jedoch alle Eroberungen im Nahen Osten wieder verloren, lediglich Spanien und Portugal blieben ab etwa 1200 christlich. Obwohl die Kreuzzüge militärisch auf lange Sicht kein Erfolg waren und entsetzliches Leid über viele Länder brachten, profitierte am Ende das christliche Abendland vor allem von der kulturellen und wirtschaftlichen Anhebung des eigenen Niveaus durch die Begegnung mit den gebildeten Gesellschaften des Orients.
Sich die ursprüngliche Bedeutung des Islam als eine moderne und aufklärerische Religion gegenüber dem damals rückständigen und gewalttätigen Christentum in Erinnerung zu rufen, wenn heute in einer Stimmung der Konfrontation oft allein noch das Gegenteil wahrgenommen wird, kann dazu beitragen, der aufgeregten Diskussion auch Momente von gegenseitiger Achtung und Differenzierung hinzuzufügen. Den Islam als monolithischen Block hat es nie gegeben und gibt es auch gegenwärtig ebenso wenig wie ein einförmiges Christentum. Das gilt schließlich auch für den Alltag und die Zukunftsträume von jungen Leuten, die sich dem Islam zugehörig fühlen.
|107| Leila H., 19 Jahre, Medizinstudentin an der palästinensischen Birzeit-Universität, schreibt in einem Brief aus dem Jahr 2002: *
»Was soll ich dir auf all deine Fragen nur antworten? Ja, es ist schrecklich, dass im islamischen Nigeria Frauen wegen Ehebruch gesteinigt oder im Iran homosexuelle Männer aufgehängt werden können. Ja, es ist schrecklich, was am 11. September 2001 in den USA durch die Leute von Al Qaida geschehen ist. Und es ist schrecklich, wenn islamische Männer ihre Ehefrauen einsperren und schlagen oder islamische Brüder gar ihre Schwestern im Auftrag der Familie in sogenannten Fememorden umbringen, weil sie angeblich nur so die Familienehre wieder herstellen können. Einer Mitstudentin aus meiner Fakultät wurde das im letzten Jahr angedroht, nachdem sie ihren Freund im Park der Universität geküsst hatte und von einem anderen Jungen verraten wurde. Der Druck und die Angst wurden so groß, dass sie mit Hilfe einer Tante das Land verlassen musste und jetzt bei einer Schwester in Frankreich wohnt.
Was hat das alles mit dem Islam zu tun? Lass mich dir aus tiefstem Herzen sagen: Ich weiß es nicht. Der Islam predigt wie das Christentum die Liebe unter den Menschen. Als Vater in Deutschland studiert hat und Mutter krank war, bin ich von Großmutter erzogen worden. Du hast sie damals noch kennengelernt, als du uns besucht hast in Nablus, kurz bevor ich in die Schule kam. Sie war es, die mir erzählt hat, dass Juden und Araber früher, vor der Gründung des Staates Israel und der gewaltsamen Vertreibung so vieler palästinensischer Familien, oft friedlich zusammenlebten. Als junges Mädchen war sie einmal sogar zur Hochzeit eines gleichaltrigen jüdischen Nachbarmädchens eingeladen worden und war stolz mit ihren Eltern und vielen Geschenken dort hingegangen. Es muss eine wunderschöne Feier gewesen sein.
Und heute? Sie ist nun schon ein paar Jahre tot. Manchmal denke ich, mit ihr ist so viel mehr gestorben. Heute ist so eine Einladung unvorstellbar, auf beiden Seiten. Und ist das nicht wie ein Symbol für die Eskalation der Gewalt zwischen euch im Westen und uns im Osten? Schau auf meine Worte: Ihr – und wir. Bist du ›ihr‹ – bin ich ›wir‹? Nein, du kennst zu viele Muslima und Muslims, als dass du |108| alle über einen Kamm scheren könntest. Du kennst meinen Vater, den sanftesten Mann, den es gibt, und meine Mutter, die so verbittert ist über die alltäglichen Schikanen, denen wir Palästinenser durch Israel ausgesetzt sind. Und ich kenne dich und ein paar deiner Freunde. Und doch: Da wird geschrieen auf beiden Seiten – was ›wir‹ für fundamentalistische Terroristen sind und ›ihr‹ für respektlose Ungläubige. So laut, so schrill.
Ich will dir zum Schluss von etwas Leisem schreiben: Ich bin verliebt. In einen libanesischen Studenten, der Ahmad
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