Die Geschichte von Liebe und Sex
verdient |168| ganz gut, aber ich habe nie eigenes Geld gehabt. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich seit einigen Monaten putzen gehe. Dafür kriege ich Geld. Zu Hause mache ich das umsonst. Von meinem ersten Geld habe ich mir eine Stereoanlage gekauft – das ist das Einzige, was ich besitze. Und die Kinder.‹ Folgte der pikierte Kommentar einer Genossin, die schon zuvor den Frauen beizubringen versucht hatte, dass nicht der Mann, sondern der Kapitalismus sie unterdrücke, und die nun die ›Konsumhaltung‹ der Frau rügte: ›Eine Stereoanlage ist nun wirklich nicht das richtige Bewusstsein.‹ Daraufhin ergriff die Frau noch einmal das Wort und sagte: ›Ob es das richtige Bewusstsein ist, weiß ich nicht. Aber vom nächsten Geld, da kaufe ich mir ein Auto, das hat Räder und trägt mich raus ...‹«
Alice Schwarzer hat in den letzten Jahren mehrere öffentliche Ehrungen erhalten, darunter 2005 das Bundesverdienstkreuz. Ein inzwischen geflügeltes Wort der neueren Frauenbewegung lautet: Gute Mädchen kommen in den Himmel – böse überall hin. ***
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Schwarzer, Alice: Simone de Beauvoir heute – Gespräche aus 10 Jahren , Reinbek 1982;
Neuauflage: Simone de Beauvoir – Rebellin und Wegbereiterin , Köln 1999.
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Schwarzer, Alice: Einleitung in: Alice im Männerland – eine Zwischenbilanz , Köln 2002.
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So auch der Titel eines 1995 erschienenen Buches von Ute Ehrhardt.
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Sexuelle Revolution: Kindersex und Wohngemeinschaften
1945 veröffentlicht der seit 1939 in den USA lebende ehemalige Freud-Schüler Wilhelm Reich (1897 – 1957, siehe auch S. 134) ein Buch unter dem Titel Die sexuelle Revolution . Darin beschreibt er, wie eine Befreiung der bislang unterdrückten Sexualität auch zu friedlicheren Gesellschaften führen würde: Menschen, die eher glücklich und zufrieden sind, werden andere weniger unterdrücken. Eine von Kindheit an frei gelebte Sexualität sei außerdem wichtig, damit jeder Mensch sich kreativ entwickeln könne. Nur so würden Menschen auch stark, um sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu wehren.
Erst 1966 erscheint eine deutsche Übersetzung seines Buches. Wilhelm Reich ist zu diesem Zeitpunkt bereits neun Jahre tot: Der ehemalige Kommunist, der in seiner zweiten Lebenshälfte als zunehmend »eigenwillig« bis »verwirrt« geschildert wurde, starb mit 60 Jahren in einem amerikanischen |169| Gefängnis an Herzversagen. Von weiten Teilen der aufbegehrenden Studenten in den USA wie in Westeuropa wird sein neu aufgelegtes Buch verschlungen, denn es gibt Hinweise darauf, wie – nicht nur theoretisch, sondern konkret und sogar lustvoll – der »autoritäre Charakter« des Faschismus (nach einem Wort des Philosophen Theodor W. Adorno, 1903 – 69) überwunden werden könne.
Alexander S. Neill (1883 – 1973) praktiziert antiautoritäre Erziehung an seiner englischen Privatschule Summerhill
Einer der Leitsätze Summerhills lautet: Die Schule soll kindergeeignet gemacht werden und nicht die Kinder schulgeeignet. Der mit Wilhelm Reich befreundete Alexander S. Neill, der die Schule 1921 gegründet hatte, ergänzt: »Das Kind muss natürlich lesen, schreiben und rechnen können, aber darüber hinaus sind Werkzeuge, Sport, Theater, Ton, Farbe und Freiheit wichtiger.«
Summerhill ist eine Internatsschule. Mädchen und Jungen leben nicht nur Tag und Nacht zusammen, Kinder dürfen auch sexuelle Erfahrungen sammeln und werden dabei von Erwachsenen unterstützt und beraten. Religion wird nicht unterrichtet, da sie den Menschen vor allem Schuldgefühle mache. Die Teilnahme am Unterricht ist freiwillig. Neill geht davon aus, dass jedes Kind und jeder Jugendliche wissbegierig ist und gern lernen möchte und dass es die Aufgabe der Lehrer ist, dies aufzunehmen und zu fördern, aber nicht zu erzwingen. Gemeinschaftliche Konflikte werden auf der wöchentlichen Schulversammlung besprochen, bei der Kinder und Erwachsene gleiches Stimmrecht haben. Summerhill wird nach dem Tod Neills von seiner zweiten Frau, später seiner Tochter weitergeführt. Sein Buch Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung (deutsch zuerst: 1965, als Taschenbuch 1969) wird auch in Westdeutschland zu einem Bestseller.
Als spektakulär, wenn nicht »shocking«, wurde die erste Wohngemeinschaft in Deutschland von allen Medien im Januar 1967 aufgenommen: Damals gründeten einige Studentinnen und Studenten in der leeren Berliner Dachgeschosswohnung des Schriftstellers Uwe Johnson (1934 –
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