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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Holunderstrauch spürt Toby noch immer die Nachwirkung der Mixtur. Die Welt ist etwas heller, als sie sein sollte, Farben und Formen ein wenig transparenter in ihrer Stofflichkeit. Sie hüllt sich in ein Laken in beruhigend neutralem Ton – hellblau und ohne Muster –, wäscht sich kurz das Gesicht an der Pumpe und begibt sich an den Frühstückstisch.
    Die anderen scheinen alle schon gegessen zu haben, es ist niemand mehr da. Weiße Segge und Lotis Blue räumen gerade den Tisch ab.
    »Ich glaube, es ist noch was da«, sagt Lotis Blue.
    »Was gab’s denn?«, fragt Toby.
    »Schinken und Kudzukuchen«, sagt Weiße Segge.
    Toby hat die ganze Nacht von Ferkeln geträumt. Von unschuldigen Ferkeln, niedlichen Ferkeln, nur dicker, sauberer und weniger wild als diejenigen, die sie gesehen hat. Fliegende Ferkel, rosafarben mit hauchdünnen weißen Libellenflügeln; Ferkel, die in fremden Zungen sprachen; sogar singende Ferkel, die in Reihen tanzten wie in einem alten Zeichentrickfilm oder durchgedrehten Musical. Tapetenferkel, vervielfacht und von Ranken umschlungen. Alle glücklich, keines tot.
    Wie gern man damals Tiere mit menschlichem Antlitz darstellte, damals in dieser ausgelöschten Zivilisation, zu der sie einmal gehörte. Knuddlige, flauschige, pastellfarbene Bären mit Valentinsherzen zwischen den Tatzen. Niedliche kuschlige Löwen. Entzückende tanzende Pinguine. Und noch früher: rosa glänzende, lustige Schweine mit einem Schlitz im Rücken zum Sammeln von Münzen: Die gab’s noch in Antiquitätenläden.
    Den Schinken kriegt sie nicht runter, nicht nach einer Nacht voller walzertanzender Ferkel. Und nicht nach dem gestrigen Tag: Was die Sau ihr kommuniziert hat, steckt ihr noch immer in den Knochen, auch wenn sie es nicht in Worte fassen kann. Es war eher wie eine Strömung. Wie Wasser, wie Elektrizität. Eine lange Unterschall-Wellenlänge. Ein Vermanschung der Gehirnchemie. Oder, wie Philo von den Gärtnern einmal sagte: Wer braucht schon Fernsehen? Er selbst hatte vielleicht ein paar Vigilien und bewusstseinserweiternde Meditationen zu viel abgehalten.
    »Ich glaube, ich verzichte«, sagt Toby. »Aufgewärmt schmeckt’s nicht mehr so toll. Ich geh mir mal einen Kaffee holen.«
    »Ist alles okay bei dir?«, fragt Weiße Segge.
    »Ja, ja«, sagt Toby. Vorsichtig läuft sie den Pfad zur Küchenbaracke entlang, meidet die unebenen Stellen, wo sich die Kieselsteine langsam auflösen, und findet Rebecca vor einer Tasse Ersatzkaffee. Der kleine Blackbeard ist bei ihr, er liegt bäuchlings auf dem Boden und schreibt. Er hat einen von Tobys Bleistiften in der Hand, und auch ihr Heft hat er sich geklaut. Aber »geklaut« ist eigentlich Unsinn – von Mein und Dein haben die Craker offenbar keinen Begriff.
    »Du bist nicht aufgewacht«, sagt er, ohne Vorwurf. »Du bist sehr weit gelaufen, in der Nacht.«
    »Hast du das gesehen?«, sagt Rebecca. »Der Junge ist richtig gut.«
    »Was schreibst du denn da?«, fragt Toby.
    »Ich schreibe die Namen, o Toby«, sagt Blackbeard. Und siehe da, genau das hat er getan. TOBY . ZEB . CRAK . REBECA . ORIX . SCHNEEMENSCHDERJIMI .
    »Er trägt sie alle zusammen«, sagt Rebecca. »Die Namen. Wer ist der Nächste?«, fragt sie Blackbeard.
    »Als Nächstes schreibe ich Amanda«, sagt Blackbeard andächtig. »Und Ren. Damit sie mit mir reden können.« Er spingt auf die Füße und läuft mit Tobys Stift und Schreibheft davon. Und wie kriege ich die Sachen wieder zurück?, fragt sie sich.
    »Schätzchen, du siehst ganz schön fertig aus«, sagt Rebecca zu ihr. »Anstrengende Nacht?«
    »Ich hab’s übertrieben«, sagt Toby. »In der Meditationsmixtur waren wohl zu viele Pilze.«
    »Sehr gefährlich«, sagt Rebecca. »Du musst viel Wasser trinken. Ich mach dir einen Nelken-Pinien-Tee.«
    »Ich hab gestern ein Riesenschwein gesehen«, sagt Toby. »Eine Sau mit Ferkeln.«
    »Viel hilft viel«, sagt Rebecca. »Solange wir unsere Spraygewehre haben. Speck wird nämlich langsam knapp.«
    »Nein, warte«, sagt Toby. »Sie – sie hat mich ganz komisch angeguckt. Ich hatte das Gefühl, sie wusste, dass ich ihren Mann getötet hatte. Damals im AnuYu.«
    »Mann, da hast du aber wirklich zugelangt bei den Pilzen«, sagt Rebecca. »Ich hab mich mal mit meinem BH unterhalten. Und, war sie wütend wegen des … tut mir leid, aber Ehemann zu sagen, das krieg ich einfach nicht hin! Herrgott nochmal, es war ein Schwein!«
    »Glücklich war sie nicht«, sagt Toby. »Aber eher traurig als wütend,

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