Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
das Outfit eine erschreckende Note: Rauschgoldengel plus Hackebeil.
»Kein Grund zu murren, holde Jungfer«, sagt Elfenbeinspecht und blickt von Toby zu Swift-Fuchs. Sobald der Bart, an dem er da arbeitet, richtig gewachsen ist, wird er noch überheblicher sein, denkt Toby. »Carpe diem. Pflückt Rosenknospen, solange es geht.« Er lächelt eine Spur lüstern; sein Blick schweift über ihren roten Gürtel. Swift-Fuchs starrt ihn ausdruckslos an.
»Erzähl ihnen was Schönes«, sagt Manatee. »Nichts allzu Konkretes. Crakes Freundin Oryx hat im Paradies auch immer sowas gemacht, um sie ruhigzustellen. Ich hoffe nur, dass dieser elende Crake nicht noch anfängt, aus dem Jenseits Wunder zu wirken.«
»Alles in Durchfall zu verwandeln zum Beispiel«, sagt Swift-Fuchs. »Ach nee, Entschuldigung, hat er ja schon gemacht. Gibt’s eigentlich Kaffee?«
»Leider nein, holde Dame«, sagt Elfenbeinspecht. »Nichts dergleichen.«
»Rebecca muss erst irgendwelche Wurzeln rösten«, sagt Manatee.
»Und richtige Kaffeesahne dazu können wir uns auch abschminken«, sagt Swift-Fuchs. »Gibt nur diese Schafspampe. Davon kommt einem doch die Galle hoch.«
Das Licht verblasst, die Motten fliegen, altrosa, rußfarben, taubenblau. Die Craker haben sich um Jimmys Hängematte versammelt. Hier soll Toby die Geschichte von Crake erzählen, und wie sie aus dem Ei gekommen sind.
Schneemensch-Jimmy möchte die Geschichte auch hören, sagen sie. Dass er nicht bei Bewusstsein ist, spielt keine Rolle: Sie sind davon überzeugt, dass er sie trotzdem hören kann.
Natürlich kennen sie die Geschichte schon: Entscheidend ist offenbar, dass sie von Toby erzählt wird. Sie muss mit großem Gewese den Fisch essen, den sie ihr gebracht haben, der außen verkohlt und in Blätter gewickelt ist. Sie muss Jimmys zerfetzte Baseballmütze aufsetzen und seine zeigerlose Uhr umlegen und sich die Uhr an ihr Ohr halten. Sie muss ganz vorne anfangen, sie muss über die Schöpfung herrschen, sie muss Regen machen. Sie muss das Chaos beseitigen, sie muss sie aus dem Ei und an die Küste führen.
Am Ende wollen sie die Geschichte von den zwei bösen Männern hören, vom Lagerfeuer im Wald und von der Suppe mit dem stinkenden Knochen: Sie sind besessen von diesem Knochen. Dann muss sie erzählen, wie die Craker selbst die zwei bösen Männer wieder losgebunden haben und wie die zwei bösen Männer weggelaufen und im Wald verschwunden sind und dass sie jederzeit zurückkommen und noch mehr Unheil anrichten könnten. Bei dem Teil werden sie traurig, bestehen aber dennoch darauf.
Nachdem sich Toby mit einiger Mühe durch die Geschichte gekämpft hat, wollen sie sie noch einmal hören, und noch einmal. Sie soufflieren, unterbrechen, ergänzen an den Stellen, wo sie etwas vergessen hat. Was sie von ihr wollen, ist sowohl eine nahtlose Darstellung als auch mehr Information, als sie erstens hat und zweitens erfinden kann. Sie ist ein schlechter Ersatz für Schneemensch-Jimmy, aber die Craker tun, was sie können, um ihre Wissenslücken zu füllen.
Gerade ist sie zum dritten Mal an der Stelle angelangt, wo Crake das Chaos beseitigt, als alle gleichzeitig den Kopf wenden. Sie schnuppern in die Luft. »Es kommen Männer, o Toby«, sagen sie.
»Männer?«, fragt sie. »Die zwei Männer, die weggelaufen sind? Wo?«
»Nein, nicht die zwei, nicht die, die nach Blut riechen.«
»Andere Männer. Mehr als zwei. Wir müssen sie begrüßen.« Alle stehen auf.
Toby sieht in dieselbe Richung wie sie. Es sind vier – vier Silhouetten, die immer näher kommen auf der zugemüllten Straße, die am Lehmhaus vorbeiführt. Ihre Stirnlampen brennen. Vier dunkle Konturen, und jede bringt ein helles Licht.
Toby spürt, wie die Spannung von ihr abfällt, wie die Luft in Form eines langen tonlosen Atemzugs in sie hineinfließt. Kann ein Herz springen? Kann einem Menschen schwindlig werden vor Erleichterung?
»O Toby, warum weinst du?«
Heimkehr
Es ist Zeb. Ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Er wirkt größer und struppiger, als sie ihn in Erinnerung hat, und – obwohl nur einige wenige Tage vergangen sind – auch älter. Gebückter. Was ist passiert?
Nashorn, Shackleton und Katuro sind bei ihm. Jetzt, aus der Nähe, ist ihnen die Erschöpfung anzusehen. Sie setzen ihre Rucksäcke ab, und die anderen scharen sich um sie: Rebecca, Elfenbeinspecht, Swift-Fuchs, Beluga, Manatee, Crozier und Ren und Lotis Blue, sogar Amanda, die etwas hinter der Gruppe steht.
Alle reden
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