Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
eigentlich hat Krieg immer etwas von Lausbubenstreichen?, fragt sich Toby. Im Gebüsch verstecken, aus dem Gebüsch springen, und ob man nun Buh! ruft oder Peng! macht, ist relativ egal, abgesehen vom Blut. Der Verlierer fällt schreiend um, macht ein blödes Gesicht, reißt den Mund auf, verdreht die Augen. Die alten biblischen Könige, die mit dem Fuß auf dem Hals der Eroberten posieren, gegnerische Könige an Bäumen aufknüpfen, über bergeweise abgeschlagener Köpfe frohlocken – das alles hat doch irgendwie etwas Kindliches.
Vielleicht ist es das, was Crake damals antrieb, denkt Toby. Vielleicht wollte er dem ein Ende setzen. Diese Seite von uns ausmerzen, diese kranke, elementare Niedertracht. Einen Neuanfang mit uns wagen.
Sie isst früh zu Mittag, und allein, denn während der regulären Mittagspause hält sie mit der Flinte Wache. Es gibt kaltes Schweinefleisch mit Klettenwurzel und einen Oreo-Keks aus einer Packung, gefunden in einer Drogerie: ein seltener Leckerbissen, streng rationiert. Sie leckt erst die süße weiße Füllung von den Kekshälften, ehe sie die Hälften verzehrt: ein sündiger Genuss.
Vor dem Nachmittagsgewitter wird Jimmy mitsamt seinem Kinderbett von fünf Crakern ins Lehmhaus getragen. Während es regnet, sitzt Toby bei ihm und inspiziert seine Wunde, und es gelingt ihr, seinen Kopf zu heben und ihm etwas Pilzelixier einzuflößen, auch wenn er noch immer bewusstlos ist. Ihr Vorrat geht zur Neige, aber sie weiß nicht, wo sie die richtigen Pilze findet, um neues Elixier anzurühren.
Ein einziger Craker bleibt bei ihnen, um zu schnurren, die anderen gehen wieder. Häuser sind ihnen zuwider; lieber werden sie nass, als zusammengepfercht in einem Haus zu sitzen. Als es aufhört zu regnen, kommen vier andere Craker herein, um Jimmy wieder ins Freie zu tragen.
Die Wolkendecke bricht auf, die Sonne kommt durch. Crozier und Zunzuncito kehren mit der Mo’Hairschafherde zurück. Es ist nichts passiert, sagen sie; zumindest nichts Konkretes. Die Mo’Hairschafe waren nervös; es war schwierig, die Herde zusammenzuhalten. Und die Krähen haben Krach geschlagen, aber was lässt sich daraus schon ablesen?
»Wie denn, nervös?«, fragt Toby. »Was für einen Krach?« Aber sie können es nicht genauer beschreiben.
Mit einem Jeanshemd über den gebeugten Schultern und einem Sonnenhut aus Segeltuch auf dem Kopf versucht Tamaraw das einzige milchgebende Mo’Hairschaf zu melken. Es will nicht richtig klappen: großes Treten und Blöken, der Eimer fällt um und läuft aus.
Crozier zeigt den Crakern, wie man die Handpumpe bedient: Was einst Dekoration in Retro-Optik war, stellt jetzt ihre Trinkwasserquelle dar. Gott weiß, was in diesem Wasser ist, denkt Toby: Es ist Grundwasser, und jederart Gift könnte von überall her hineingesickert sein. Sie wird auf die Nutzung von Regenwasser drängen, zumindest zum Trinken, aber bei all den fernen Bränden und möglichen Kernschmelzen, die verseuchte Kleinstpartikel in die Stratosphäre schleudern, weiß auch da allein Gott, was in diesem Wasser ist.
Die Craker sind entzückt von der Pumpe; die Kinder kommen angelaufen und drängeln unter den Wasserstrahl. Danach zeigt ihnen Crozier die einzige Solarzelle, die die MaddAddamiten bislang zum Laufen gebracht haben. Sie erzeugt den Strom für die Glühbirnen, eine in der Küchenbaracke, eine im Garten. Er versucht ihnen zu erklären, warum die Lichter angehen, aber keine Chance: Lichter sind für sie wie Lumirosen oder grüne Kaninchen: Sie leuchten, weil Oryx sie so geschaffen hat.
Sie essen am langen Tisch zu Abend. Weiße Segge, in einer Schürze mit blauen Vögeln, und Rebecca, in malvenfarbenem Strandtuch mit gelber Satinschleife, verteilen das Essen, ehe sie sich zu den anderen setzen; Ren und Lotis Blue sind am Kopfende und versuchen Amanda zum Essen zu bewegen. Allmählich trudeln die nicht wachhabenden MaddAddamiten ein.
»Sei gegrüßt, Atlantisralle«, sagt Elfenbeinspecht. Es macht ihm Spaß, Toby mit ihrem alten MaddAddam-Nick anzusprechen. Er hat seine schmale Gestalt in ein Laken mit Tulpenmuster gehüllt und einen seltsamen Turban aus dem passenden Kissenbezug auf dem Kopf. Seine kantige Nase ragt aus dem ledrigen Gesicht wie ein Schnabel. Schon eigenartig, denkt Toby, dass sich die MaddAddamiten damals Codenamen ausdachten, die tatsächlich einen Teil ihrer Persönlichkeit widerspiegeln.
»Wie geht’s ihm?«, fragt Manatee. Er trägt einen breitkrempigen Strohhut und sieht aus wie
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