Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
gefangen, vorgestern Abend«, sagt sie. »Wir hatten sie an einen Baum gebunden. Aber ich habe sie nicht getötet. Es war Sankt Juliana, ich konnte einfach nicht. Sie sind uns entwischt. Sie haben ihr Spraygewehr mitgenommen.«
Jetzt weint sie. Sie gibt ein jämmerliches Bild ab; sie quiekt wie ein Wurf Babymäuse. Dieses Verhalten sieht ihr überhaupt nicht ähnlich, aber sie ist machtlos dagegen.
»Hey«, sagt Zeb. »Das wird schon wieder.«
»Nein«, sagt Toby. »Wird es nicht.« Sie dreht sich um und will gehen: Wenn sie schon in Selbstmitleid versinkt, dann sollte sie es allein tun. Allein, so fühlt sie sich, und allein wird sie auch bleiben. Du bist Einsamkeit gewohnt, sagt sie zu sich. Sei stoisch.
Auf einmal merkt sie, wie sie in den Arm genommen wird.
Auf diesen Moment hat sie so lange gewartet, dass sie das Warten längst aufgegeben hatte. Sie hat sich so danach gesehnt, hätte es nie für möglich gehalten. Aber wie einfach es jetzt ist, genauso einfach, wie es früher war, nach Hause zu kommen, vorausgesetzt, man hatte ein Zuhause. Durch die Tür gehen und die vertrauten Räume betreten, wo man sie kennt, wo sie hinkann, wo sie hindarf. Wo sie die Geschichten hört, die sie dringend hören muss. Geschichten der Hände und des Mundes.
Du hast mir gefehlt. Wer hat das gesagt?
Die Gestalt vor dem nächtlichen Fenster, ein glitzerndes Auge. Ein dunkler Herzschlag.
Ja. Endlich. Du bist da.
BÄRENBRÜCKE
Die Geschichte von Zeb und wie er in den Bergen verschollen war und den Bären aß
Und so spülte Crake das Chaos weg, um einen sicheren Lebensraum für euch zu schaffen. Und dann …
Wir kennen die Geschichte von Crake. Wir haben sie schon oft gehört. Jetzt erzähl uns die Geschichte von Zeb, o Toby.
Die Geschichte, wie Zeb einen Bären aß!
Ja! Einen Bären aß! Einen Bären! Was ist ein Bär?
Wer hat euch das erzählt, das mit Zeb und dem Bären?
Crozier hat es uns erzählt. Er ist unser Freund, er pinkelt morgens mit uns.
Wir wollen die Geschichte von Zeb hören. Und dem Bären. Von dem Bären, den er aß.
Crake will, dass wir sie hören. Wenn Schneemensch-Jimmy wach wäre, würde er uns diese Geschichte erzählen.
Also gut. Lasst mich mal an Schneemensch-Jimmys glänzendem Ding horchen. Dann kann ich die Worte hören.
Ich horche, sosehr ich kann. Ich kann gut hören, wenn ihr singt.
Also. Dies ist die Geschichte von Zeb und dem Bären. Am Anfang der Geschichte gibt es nur Zeb. Er ist ganz allein. Der Bär kommt erst später. Vielleicht kommt morgen der Bär. Wer auf einen Bären wartet, muss Geduld mitbringen.
Zeb war verschollen. Er setzte sich unter einen Baum. Der Baum stand auf weitem flachem Land, so ähnlich wie der Strand, nur ohne Sand und ohne Meer, nur mit ein paar eiskalten Tümpeln und einer Menge Moos. Ringsum, aber sehr weit weg, waren die Berge.
Wie war er dort hingekommen? Er war geflogen, in einem … egal. Das gehört in eine andere Geschichte. Nein, er kann nicht fliegen wie ein Vogel. Jetzt nicht mehr.
Berge? Berge sind sehr große und hohe Felsen. Nein, das sind keine Felsen, das sind Gebäude. Gebäude stürzen ein, sie krachen zusammen. Auch Berge stürzen ein, aber ganz langsam. Nein, die Berge sind nicht über Zeb eingestürzt.
Also sah sich Zeb die Berge an, die überall um ihn herum waren, wenn auch in ziemlich weiter Ferne, und er dachte: Wie komme ich bloß über diese Berge rüber? Sie sind so groß und so hoch.
Er musste über die Berge rüber, weil auf der anderen Seite die Leute waren. Er wollte bei den Leuten sein. Er wollte nicht allein sein. Niemand möchte allein sein, oder?
Nein, die Leute waren nicht wie ihr. Sie hatten Kleidung an. Sehr viel Kleidung, denn es war eine kalte Gegend. Ja, es war die Zeit des Chaos, bevor Crake alles wegspülte.
Also sah sich Zeb die Berge an und die Tümpel und das Moos, und er dachte: Was soll ich denn nur essen? Und dann dachte er: Hier in diesen Bergen leben viele Bären.
Ein Bär ist ein großes pelziges Tier mit großen Klauen und vielen scharfen Zähnen. Größer als eine Luxkatze. Größer als ein Hunolf. Größer als ein Organschwein. So groß.
Er knurrt, wenn er spricht. Er wird sehr hungrig. Er kann alles zerfleischen.
Ja, Bären sind Kinder der Oryx. Ich weiß nicht, warum sie sie so groß gemacht hat, mit sehr scharfen Zähnen.
Ja, wir müssen sie gut behandeln. Am besten behandelt man Bären, indem man ihnen nicht zu nahe kommt.
Dass es im Moment welche in unserer Nähe gibt, glaube ich
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