Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
sind sie sehr weit weggegangen. Aber wir müssen trotzdem aufpassen und den anderen Bescheid sagen, falls wir sie sehen.«
Eines der Mo’Hairschafe ist weg, hat Crozier ihr unter vier Augen gesagt – das rothaarige mit den Zöpfen –, es kann aber auch nur beim Grasen davongestreunt sein. Oder von einem Löwamm gerissen worden sein.
Oder von etwas Schlimmerem, denkt Toby: etwas Menschlichem.
Der Tag ist drückend gewesen. Nicht mal das Nachmittagsgewitter hat die feuchte Luft vertrieben. Unter normalen Bedingungen – aber was ist schon normal? – hätte dieses Wetter eigentlich jedwede Lust dämpfen müssen, wie unter einer feuchten Matratze. Sie und Zeb hätten schlapp, gereizt, erschöpft sein müssen. Stattdessen haben sie sich noch früher als sonst davongestohlen, schlüpfrig vor Verlangen, jede Pore begierig, jede Kapillare durchtränkt, und sich gewälzt wie Molche in einer Pfütze.
Jetzt hat sich die Dämmerung gesenkt. Dunkellila quillt es aus der Erde, Fledermäuse flirren vorbei wie Schmetterlinge aus Leder, die Nachtgewächse öffnen ihre Blüten und entlassen ihren Moschusduft in die Luft. Sie sitzen draußen im Gemüsegarten, um den Abendhauch zu genießen, wenn man von Abendhauch sprechen kann. Ihre Finger sind locker ineinander verschränkt; Toby spürt noch immer die Spannung zwischen ihnen. Schimmernde kleine Motten umflattern ihre Köpfe. Wie wir wohl für sie riechen?, fragt sie sich. Wie Pilze? Wie zerdrückte Blütenblätter? Wie Tau?
»Hilf mir mal«, sagt Toby. »Ich brauche mehr Stoff, für die Craker. Sie sind unersättlich, was das Thema Zeb anbelangt.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Du bist ihr Held. Sie wollen deine Lebensgeschichte. Deine wundersamen Anfänge, deine übernatürlichen Taten, deine Lieblingsrezepte. Du bist für sie wie ein Mitglied der königlichen Familie.«
»Wieso ausgerechnet ich?«, fragt Zeb. »Ich dachte, Crake hätte das alles abgeschafft. Die sollen an sowas doch gar kein Interesse haben.«
»Haben sie aber. Die sind besessen von dir. Du bist ihr Rockidol.«
»Großer Gott nochmal. Kannst du dir nicht einfach irgend n Scheiß ausdenken?«
»Die nehmen einen richtig ins Kreuzverhör«, sagt Toby. »Ich brauche zumindest ein paar Basisinformationen. Das Rohmaterial.« Will sie wegen der Craker alles über Zeb erfahren oder ist das reiner Eigennutz? Beides. Aber hauptsächlich ist es Eigennutz.
»Ich bin ein offenes Buch«, sagt Zeb.
»Jetzt sag schon.«
Zeb seufzt. »Ich denke ungern an das alles zurück. Ich hab’s ja erlebt, ich muss es nicht nochmal erleben. Wen kümmert’s überhaupt?«
»Mich«, sagt Toby. Und dich auch, denkt sie. Dich kümmert es auch immer noch. »Ich höre.«
»Du lässt nicht locker, was?«
»Ich hab Zeit. Also. Du wurdest geboren …«
»Kann ich nicht abstreiten.« Noch ein Seufzer. »Also. Erstmal muss du wisssen: Wir haben die falschen Mütter.«
»Wie, falsch?«, fragt sie und blickt in das Gesicht, das sie kaum erkennen kann. Ein Stück Wangenknochen, ein Schatten, ein leuchtendes Auge.
Die Geschichte von Zebs Geburt
Ich habe die Mütze von Schneemensch-Jimmy aufgesetzt. Ich habe den Fisch gegessen. Ich habe an dem glänzenden Ding gehorcht. Jetzt erzähle ich euch von Zebs Geburt.
Ihr braucht nicht zu singen.
Zeb kommt nicht von Crake, nicht wie Schneemensch-Jimmy. Und er wurde auch nicht von Oryx geschaffen, wie die Kaninchen. Er wurde geboren, genau wie ihr. Er wuchs in einer Knochenhöhle heran, und dann kam er durch einen Knochentunnel zur Welt, genau wie ihr.
Denn unter unserer Kleiderhaut sind wir genau wie ihr. Fast genauso.
Nein, wir werden nicht blau. Auch wenn wir manchmal blau riechen. Aber unsere Knochenhöhle ist genau wie eure.
Nein, ich glaube, wir müssen jetzt nicht über blaue Penisse reden.
Ich weiß, sie sind größer. Danke für den Hinweis.
Ja, wir haben Brüste. Die Frauen.
Ja, zwei Stück.
Ja, vorne.
Nein, die zeige ich euch jetzt nicht.
Weil es in dieser Geschichte nicht um Brüste geht. Es geht in dieser Geschichte um Zeb.
Vor sehr langer Zeit, in den Tagen des Chaos – bevor Crake das Chaos beseitigt hat –, lebte Zeb in der Knochenhöhle seiner Mutter. Und Oryx sorgte für ihn, wie sie für alle sorgt, die in der Knochenhöhle leben. Und dann reiste er durch den Knochentunnel und kam auf die Welt. Und dann war er ein Baby, und dann wurde er groß.
Und er hatte einen älteren Bruder, der Adam hieß. Aber Adams Mutter war nicht dieselbe Frau wie Zebs
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