Die Geschichte von Zoe und Will
weiterspricht. »Aber, Zoe, ich glaube, sie wissen, wo ihr seid. Oder zumindest, wohin ihr wollt. Sie haben ein Überwachungsvideo aus dem Laden von irgendwo zwischen hier und Nevada. Die FBI-Agenten haben es mir gezeigt. Das Mädchen dort hat ausgesehen wie … wie du. Irgendwie. Und dann Will. Sie haben mich gefragt, ob ich die Leute auf dem Video erkenne. Da war dieser große Kerl, der di… das Mädchen geschüttelt hat. Und dann der andere Typ … Aber die Aufnahme war wirklich schlecht. Ich meinte, dass es schwer zu sagen ist. Das warst doch nicht du, oder? Du warst doch nicht in Nevada, hast nicht versucht …« Sie holt erneut Atem und senkt die Stimme.
»Der Mann ist tot, Zoe. Und jetzt denken sie, dass ihr nach Vegas wollt. Sie haben noch weitere Anklagepunkte gegen Will, und Leute in Anzügen kommen vorbei … Sag mir, dass es nicht wahr ist, dass das nicht du auf dem Video warst. Geht es dir wirklich gut?«
Ich presse die Nase gegen das kalte Fenster und starre auf die silhouettenhaften Büsche und Felsformationen, an denen wir vorbeirasen. Irgendwo dort draußen muss es einen Ort geben, an dem Menschen, die nichts Falsches tun wollten, hinfahren und leben und es wiedergutmachen können. Ein Ort, der sie nicht auseinanderreißt oder ihren Freunden wehtut. Glückseligkeit kann doch nicht nur ein Mythos sein.
»Mir geht’s gut, wirklich. Ich weiß nicht, was du auf diesem Video gesehen hast.« Ich schließe jetzt die Augen, kämpfe das hoffnungslose Gefühl nieder, das wie feuchtklamme Finger nach mir greift. »Ich habe es nicht gesehen. Aber mir geht’s gut. Und Will auch.«
Ich weiß, dass ich sinnloses Zeug plappere, aber ich will nicht lügen, und ich will ihr nicht zu viel verraten, denn es ist nicht ihre Schuld, überhaupt nicht, und trotzdem entschlüpfen uns manchmal ungewollt Dinge – Informationen.
»Mir geht’s gut, Lin. Das kannst du mir glauben. Und … ich bin glücklich, mit Will zusammen zu sein. Wenn noch mal jemand fragen sollte, kannst du ihnen sagen, dass ich zu hundert Prozent freiwillig mitgegangen bin. Ich will hier sein, muss hier sein. Alles wird gut. Ich denke, ich werde dich eine Weile nicht anrufen, aber du kannst mich anrufen, wenn du die Handys von anderen benutzt und sie nichts verraten.«
»Ich rufe dich wieder an. In ein paar Tagen. Oder wenn hier irgendwas passiert, okay?«
»Okay. Bis bald.«
Ich drücke auf den roten Knopf und beginne augenblicklich, das Handy zu hassen, will es am liebsten langsam mit dem Absatz meines Schuhs zerquetschen. Ich weiß nicht, worauf ich ansonsten meine Wut, meine Traurigkeit richten soll. Stattdessen gebe ich Will das Telefon behutsam zurück.
»Sie wissen, wohin wir wollen«, sage ich.
WILL
BEI IHREN WORTEN wird es richtig kalt im Auto.
»Was?«
»Sie wissen, dass wir nach Vegas wollen.«
»Wer?«
»Die Polizei. Das FBI.«
Das FBI. Ich hatte mir schon gedacht, dass das passieren wird. Ich wusste, sie würden kommen. Ich wusste, wir könnten nicht schnell genug davonlaufen. Ich dachte, ein gefälschter Ausweis wäre genug. Ich bin ein Idiot. Nichts ist genug, wenn man ein Mörder ist.
»Wie?«
Ich habe das Gefühl, dass, wenn ich ihr weiterhin diese blöden Fragen stelle, ihre Antworten mich nicht treffen können. Als ob jeder Satz, der aus ihrem Mund kommt, über den vorhergehenden stolpert, sodass mich keiner erreichen, keiner zu mir durchdringen kann. Ich will das einfach alles nicht hören! Aber sie antwortet, sagt etwas über eine Schwester und ein Video. Es spielt keine Rolle. Es zählt allein, dass sie wissen, wohin wir fahren. Das schrumpfende Gefühl von Sicherheit, an das ich mich seit dem Diner festgekrallt habe, liegt irgendwo auf der Straße hinter uns. Sie wissen, wohin wir wollen. Sie werden dort – in Vegas – auf uns warten.
Nein. Sie dürfen uns nicht kriegen. Sie dürfen Zoe nicht kriegen. Sie dürfen sie mir nicht wegnehmen.
»Alles wird gut.« Ich denke nicht mal darüber nach, was ich sage, in meinen Worten steckt keinerlei Bedeutung. Zoe seufzt, völlig verzweifelt.
»Hörst du mir überhaupt zu? Sie wissen, wohin wir fahren. Wir können jetzt nicht mehr nach Vegas.«
»Wir sind mitten in der Wüste. Wir können nirgendwo anders hin.«
»Überallhin. Wir können überallhin, nur nicht nach Vegas.«
»Wir hatten doch Pläne.«
»Hör mir zu!«
Ich fahre mir übers Gesicht und versuche mich auf das zu konzentrieren, was Zoe sagt, aber ihre Worte gleiten irgendwie an mir vorbei. Ich nehme
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