Die Geschichte von Zoe und Will
ihre Hand. Sie ist warm, voller Leben. »Lass mich einfach kurz nachdenken«, sage ich.
Sie reißt ihre Hand aus meiner, verärgert, dass ich den wichtigen Dingen, die sie mir zu sagen hat, nicht zuhören will. Aber so ist das nicht. Ich höre zu, das versuche ich wirklich. Es ist nur so, als könnte mein Körper die Worte nicht aufnehmen. Als würden sie irgendwo abprallen, bevor sie meine Ohren erreichen. Ich muss mich mehr anstrengen, um sie zu verstehen. Aber dann ruft die Straße nach mir, und ich muss meine Aufmerksamkeit aufs Fahren lenken.
Ich habe einen Mann getötet. Mit so was kommt man nicht davon.
Lauf, lauf so weit weg, wie du kannst, aber du wirst nicht davonkommen.
»Hey, Zoe, mach das Radio an. Lass uns ein bisschen Musik hören.«
Sie hält inne, und eine Schwere füllt den Wagen. Ich schaue zu ihr, sehe, wie sich ihre Augen verengen. Ja, sage ich ihr lautlos, ja, du darfst sauer auf mich sein, weil ich das gesagt, weil ich dir das Wort abgeschnitten, weil ich dich hierhergeschleppt, weil ich dich in diese Lage gebracht habe. Du kannst so wütend auf mich sein, wie du willst, mich mehr hassen, als je ein Mensch gehasst hat, und schreien, bis du heiser bist. Alles, was du willst. Es tut mir so leid. Das ist das Beste, was ich im Moment machen kann. Aber verlass mich nicht.
Sie bricht den Augenkontakt ab. Ihre Hand streckt sich nach dem Radio, erstarrt dann aber mitten in der Bewegung. Sie dreht sich wieder zu mir. Umschließt mein Kinn mit den Händen. Drück zu, will ich ihr zurufen. Tu mir weh, so sehr du willst, so wie ich dir weh getan habe. Doch sie ist so zärtlich, als sie – ein wenig nur – mein Gesicht zu sich dreht. Nicht genug, dass meine Augen die Straße verlieren, nur gerade so viel, dass ihre Lippen mein Ohr erreichen, meine Wange, meinen Mundwinkel.
»Ich liebe dich.«
Sie wischt eine Träne weg, die sich unter ihren Wimpern herausstiehlt, und schaltet das Radio ein. Sie klappert eine Station nach der anderen ab, bis sie endlich auf ein Lied stößt, das uns nicht mit seiner Dunkelheit oder düsteren Basstönen oder sonst was in Stücke reißt. Irgendein Lied, von dem jeder vor zehn Jahren den Text kannte, das aber jetzt längst vergessen ist.
Ich ramme meinen Schädel in die Kopfstütze und schließe für eine Sekunde die Augen. Ich kann das Echo ihrer Küsse spüren, dort, wo ihr Mund gerade meinen berührt hat. Ein Flüstern von Zoe kribbelt auf meinem Gesicht. Instinktiv hebe ich die Hand, um mich an meinem stoppeligen Kinn zu kratzen, ziehe sie aber wieder zurück, rasch. Ich werde sie nicht berühren, diese Engelsküsse, die sie mir geschenkt hat, als sie eigentlich aus dem Auto steigen und mich für immer hätte verlassen sollen. Niemand hat mir je so lang beigestanden, so viel für mich ertragen.
Ich denke darüber nach, was sie mit meiner Bitte gemacht hat, dass sie die Musik anschalten soll. War es Stärke oder Schwäche, die sie es hat tun lassen? Hat sie nachgegeben oder ist sie über mich hinausgewachsen, über alles, was geschehen ist? Ich schaue zu ihr rüber. Sie summt zur Musik, als hätte sie keine Sorgen auf der Welt.
Yeah.
Über mir.
So unendlich weit über mir.
ZOE
DAS HABE ICH NOCH nie gespürt, dieses Gefühl, jemandem wehgetan zu haben. Hätte ich nicht versucht, etwas an mich zu reißen, das nicht mir gehört, wäre ich von vornherein nicht mit Will davongelaufen, wäre nichts von all dem passiert. Will hätte nicht das Geld gestohlen. Ich hätte nicht versucht, etwas mitgehen zu lassen.
Ich kann nicht aufhören, schlimme Dinge zu tun. Seit dem Tag, als ich ein kleines Mädchen war, das dort gestanden und zugeschaut, nie etwas gesagt hat, weil ihr Daddy es verboten hat.
Draußen ist es schon dunkel. Eine bewölkte, winterhafte Dunkelheit, obwohl es Frühling ist. Es ist dunkel genug, dass ich die Augen schließe und zum Himmel bete oder was auch immer mir dort oben zuhört. Ich habe nicht mehr gebetet, seit ich klein war und entschieden habe, dass mich Gott hasst, aber jetzt bitte ich um Vergebung und verspreche, alles wieder in Ordnung zu bringen. Aber die einzige Antwort, die ich erhalte, als ich die Augen wieder öffne, ist das Geräusch des Asphalts. Da ist nichts als Wills Wagen unter meinen Füßen, das Blinken der Sterne am schwarzen Himmel und das Wissen, dass sie dort draußen sind, um uns zu jagen, kurz davorstehen, uns zu schnappen. Das Wissen, dass wir nicht schnell genug sein können.
Ich kann nicht glauben, dass es so lange
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