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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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hinzuweisen, daß die Schamhaare der vor mir stehenden schönen Athletin
     ein klassisches Dreieck und nicht, wie bei mir, einen Rhombus bilden – welcher verwerflichen |224| Geisteshaltung, welcher sträflichen Abweichung würde sie mich bezichtigen?
    Ich bediene mich der Waffe der Schwachen: ich schweige. Ich lasse Helsingforth das »weibliche« Privileg des letzten Wortes.
    Es gibt im Leben der Völker Momente, in denen Worte die Kraft besitzen, Tatsachen zu verändern, und man staunend feststellt,
     daß das verbale Delirium an die Stelle der wissenschaftlichen Erkenntnis tritt. Ich erlebe einen solchen Augenblick, und ich
     spüre, daß es völlig nutzlos ist, gegen den Strom anzukämpfen. Der Irrtum hat die Überhand. Man muß abwarten, bis sich die
     Magie der Phrasen verflüchtigt. Inzwischen muß ich zugeben, daß die vor mir stehende Superfrau mit den enormen Brüsten genauso
     wie ich gebaut und den gleichen physiologischen Gesetzen unterworfen ist. Also gut, geben wir es zu! Geben wir auch zu, daß
     ich als männliches Geschöpf völlig unterlegen bin, obwohl ich ihr gleiche. Was bedeutet schon dieser kleine Widerspruch? Ich
     bin nicht aufgelegt, mich mit der Logik herumzuschlagen.
    »Martinelli, warten Sie im Wohnzimmer auf mich«, sagt Helsingforth. »Ich komme nach.«
    Endlich werde ich erfahren, was sie von mir will! Ich entferne mich, und während ich mich zum Wohnzimmer begebe, sehe ich
     sie durch die Tür zum Bad verschwinden.

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    |225| ELFTES KAPITEL
    Wenn ich heute an die folgende Szene zurückdenke, setzt mich der gekünstelte, wenig überzeugende Charakter in Erstaunen, den
     Helsingforth ihr aufprägte.
    Selbst ihre Sprache klingt falsch. Sie ist steif und affektiert, als hätte Helsingforth ihre Sätze zu sehr vorbereitet. Aus
     ihrer ganzen Haltung spricht gleichsam ein kalt berechnender Sadismus, der ihr in der Praxis, dessen bin ich sicher, nicht
     einen Bruchteil des erwarteten Genusses einbringt. Sie ist zwar paranoid und sadistisch, aber die Grausamkeit hat bei ihr
     nicht den spontanen Charakter einer Leidenschaft. Sie hat zuviel System, und alles ist zu sehr ausgeklügelt.
    Im übrigen überzieht sie, wie schon bemerkt. Alle ihre Effekte sind übertrieben. Als ich zum Beispiel ins Wohnzimmer komme,
     sehe ich auf einem niedrigen Tisch eine Teekanne, Toast, Butter, Konfitüre – aber nur eine einzige Tasse! Ich bin nicht eingeladen!
    Das entspricht als beabsichtigte Flegelei der gleichen Haltung wie ihre Gewohnheit, am Schluß ihrer Briefe die Höflichkeitsformeln
     wegzulassen. Es ist dermaßen ostentativ, daß es sein Ziel verfehlt.
    Ein anderes Beispiel. Als Helsingforth, aus der Küche kommend, schließlich im Wohnzimmer erscheint, kommt sie nicht einfach
     herein, sondern hält ihren Einzug. Sie »plustert« sich in einem seidigen, schillernden Morgenmantel, unter dem sie natürlich
     nackt ist. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, setzt sie sich in den einzigen Sessel und sagt zu mir, als würde sie mit dem
     Fuß ihren Hund zur Seite schieben: »Platz!«
    Das ist plump und kindisch. Deshalb fühle ich mich in diesem Augenblick auch nicht gedemütigt, sondern verspüre nur eine Art
     spöttischer Verachtung. Mir scheint, Helsingforth könnte bei ihren Gemeinheiten etwas subtiler zu Werke gehen. Ich muß mich
     sogar ernsthaft zusammennehmen, um mir ins Gedächtnis zu rufen, bis zu welchem Grade mein Gegenüber gefährlich und wie verwundbar
     meine Position ist.
    |226| Gut. Ich setze mich auf einen Hocker. Die Augen auf den Toast gerichtet – ich spüre jetzt erst, wie hungrig ich bin –, warte
     ich.
    Schweigen. Sie trinkt. Vermutlich will sie den Eindruck erwecken, daß auch das bei ihr eine geheiligte Handlung sei: Die ganze
     Welt hält inne und schaut auf Helsingforth. Das ist wirklich danebengegriffen: Sie macht sich unglaubwürdig.
    Schließlich habe ich es in Blueville mit authentischen Menschen zu tun: Pierce, Burage, Stien, Grabel. Sogar Mr. Barrow ist
     in gewissem Sinne authentisch: Er glaubt an seine Bürokratie. Und dann gibt es den Wachtturm, den Stacheldraht, die Labors
     und das komplizierte soziale Leben des Lagers mit seinen Kasten, seinen Abhöranlagen und seinen illegalen Aktivitäten; alles
     das ist greifbar und real. Hier ist alles gekünstelt, angefangen mit dem Bungalow. Von weitem sieht er aus wie ein Blockhaus,
     deren es so viele in Vermont gibt. Aber wenn man ihn betritt, entdeckt man einen Swimmingpool mit Marmorrand. Und was

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