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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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Selim die Favorite.
    »Ein Herz,« antwortete Mirzoza, »und ich weiß wohl, wem das meinige zufliegen würde,« sagte sie mit einem zärtlichen Blick auf Mangogul. Der Sultan konnte dieser Rede nicht widerstehn, er verließ seinen Lehnstuhl, um auf die Favorite zuzueilen, die Hofleute verschwanden, und der Lehrstuhl des neuen Philosophen ward der Schauplatz ihrer Freuden. Er bewies ihr zu wiederholten Malen, daß er nicht minder bezaubert sei von ihren Gefühlen, als von ihren Vorlesungen, und der professoralische Anzug geriet dadurch in Unordnung. Mirzoza gab ihrem Frauenzimmer die schwarzen Unterröcke wieder, sandte dem Lord Seneschall seine ungeheure Perücke zurück und dem Herrn Abbé seine viereckige Mütze mit der Versicherung, daß er sich als Kandidat auf der Liste der nächsten Rangerhöhung befände. Wie weit hätte er es nicht gebracht, wenn er ein schöner Geist gewesen wäre! Ein Sitz in der Akademie war die geringste Belohnung, die er erwarten durfte, aber unglücklicherweise wußte er nur zwei- oder dreihundert Worte und hatte es nie so weit gebracht, sich damit auch nur einige Male zu wiederholen.
    Mangogul hatte Mirzozens philosophische Vorlesung angehört, ohne ihr zu widersprechen. Darüber war sie erstaunt, da er doch sonst gern widersprach. »Sollte der Sultan mein System von Anfang bis zu Ende annehmen?« sprach sie zu sich selbst. »Nein, das ist nicht wahrscheinlich. Sollte er es zu schlecht befunden haben, um es seiner Bekämpfung zu würdigen? Das könnte eher sein. Zugestanden: meine Gedanken sind wohl nicht die richtigsten, die man bisher gehabt hat; sie sind doch aber auch nicht die falschesten, und ich meine, es mag noch ungereimtere Meinungen geben.«
    Um aus diesem Zweifel herauszukommen, entschloß sich die Favorite, Mangogul zu befragen: »Nun, Fürst, was denken Sie von meinem System?« »Es ist bewundernswert,« antwortete der Sultan, »es hat nur einen Fehler.« – »Welcher Fehler wäre das?« – »Es ist falsch, grundfalsch. Waren Ihre Vermutungen richtig, so müßten wir alle Seelen haben; aber sehen Sie, Wonne meines Lebens, diese Folgerung widerspricht dem gesunden Menschenverstand: Ich habe eine Seele; da ist ein Wesen, das sich mehrenteils beträgt, als ob es keine hätte, und vielleicht hat es auch keine, selbst dann nicht, wenn es so handelt, als ob es eine hätte. Aber dieses hat eine Nase wie ich; ich fühle, daß ich eine Seele habe und denke. Folglich hat auch das Wesen eine Seele und denkt auch. Seit tausend Jahren macht man diese Folgerung und ebensolange schon ist man anmaßend.«
    »Ich gestehe,« sagte die Favorite, »es ist nicht immer klar, daß andre Leute denken.« »Sagen Sie lieber,« erwiderte Mangogul, »in hundert Fällen ist es klar, daß sie nicht denken.« »Dennoch,« versetzte Mirzoza, »wäre der Schluß ein wenig voreilig, daß sie nie gedacht haben und niemals denken werden. Man ist nicht immerein Tier, weil man es zuweilen gewesen ist, und Ihre Hoheit …«
    Mirzoza fürchtete, den Sultan zu beleidigen, und verstummte. »Fahren Sie fort, Madam,« sagte Mangogul, »ich verstehe Sie. ›Und ist meine Hoheit niemals wie ein Tier gewesen, wollen Sie sagen, nicht wahr?‹ Darauf antwort’ ich, ja, ich war manchmal so, und dann verzieh ich andern gern, wenn Sie mich dafür hielten. Sie können sich wohl denken, daß sie das auch taten, obgleich sie nicht das Herz hatten, es mir zu sagen.« »Ach! Fürst,« rief die Favorite, »wenn die Menschen dem größten Monarchen der Erde eine Seele absprächen, wem könnten sie eine zugestehn?«
    »Keine Schmeicheleien,« sagte Mangogul. »Für diesen Augenblick hab’ ich Krone und Zepter niedergelegt. Jetzt bin ich nicht Sultan, sondern Philosoph und kann die Wahrheit hören und sagen. Von jenem hab’ ich Ihnen, glaub’ ich, Beweise gegeben. Sie sehn, ich ließ mir geduldig und nach Ihrem Gefallen den Vorwurf machen, daß ich zuweilen nur ein Tier bin. Erlauben Sie aber auch, daß ich die Pflichten meiner neuen Rolle ganz erfülle.
    Weit entfernt,« fuhr er fort, »Ihnen zuzugeben, daß das alles, was Füße, Arme, Hände, Augen und Ohren hat wie ich, auch eine Seele besitzt wie ich, erkläre ich Ihnen vielmehr, daß nach meiner Überzeugung, von der mich nichts abbringen soll, drei Vierteile der Männer, und alle Weiber nur Automaten sind.«
    »Ihre Worte sind am Ende vielleicht gerade so höflich wie wahr,« antwortete die Favorite.
    »Oh!« sagte der Sultan, »die gnädige Frau wird wohl gar böse?

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