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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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nun Bloculocus das Phänomen erklären können?«
    »Daran zweifle ich nicht,« antwortete Bloculocus, »wenn mir Ihre Hoheit ein sehr einfaches Prinzip zugeben. Alle Wesen, behaupt’ ich, stehen in unendlich mannigfacher Beziehung zueinander durch die Eigenschaften, die sie gemeinschaftlich besitzen: und die Vereinigung gewisser Eigenschaften ist das bestimmende und unterscheidende Kennzeichen des einzelnen.«
    »Das ist klar,« antwortete die Favorite. »Ipsifile hat Füße, Hände und einen Mund wie eine geistvolle Frau.« »Und Phararmome,« setzte Mangogul hinzu, »trägt seinen Degen wie ein tapfrer Mann.«
    »Ist man nicht hinlänglich unterrichtet, welche Eigenschaften sich vereinigen müssen, um diese oder jene Gattung zu bilden, oder schließt man zu voreilig, eine solche Verbindung finde bei diesem oder jenem einzelnen Wesen statt oder nicht statt, so läuft man Gefahr, Kupfer für Gold zu halten, geschliffenes Glas für Edelsteine, einen Kalkulator für einen Geometer, einen Wortkrämer für einen Schöngeist, Citron für einen anständigen Menschen …« »Und Fatime für eine hübsche Frau,« setzte die Sultanin hinzu.
    »Wissen Ihro Gnaden,« fragte Bloculocus, »was man den Leuten vorwerfen könnte, die solche Urteile fällen?«
    »Daß sie im Wachen träumen,« antwortete Mirzoza. »Sehr wohl, gnädige Frau; und bei tausend Vorfällen gibt es keinen philosophischeren, logisch richtigeren Ausdruck, als die gewöhnliche Redensart: ich glaube, Sie träumen. Denn nichts ist so gewöhnlich, als daß Menschen sich einbilden, Vernunftschlüsse aufzubauen, die doch nichts tun, als mit offenen Augen zu träumen.«
    »Bei denen trifft es wohl buchstäblich ein,« unterbrach ihn die Favorite, »daß dies ganze Leben nur ein Traum ist.«
    »Ich kann nicht genug bewundern,« versetzte Bloculocus, »mit welcher Leichtigkeit Ihro Gnaden die abstraktesten Begriffe erfassen. Unsre Träume sind nichts als übereilte Schlüsse, die unglaublich rasch aufeinander folgen, Dinge vereinigen, welche nur in sehr fernen Beziehungen zueinander stehen und dadurch ein abenteuerliches Ganze zusammensetzen.«
    »O, wie gut ich Sie verstehe,« sagte Mirzoza. »Das gibt denn so eine Art Mosaikarbeit, deren zusammengebrachte Stücke mehr oder weniger zahlreich, mehr oder weniger regelmäßig sind, je lebhafter der Geist, je rascher die Einbildungskraft, je treuer das Gedächtnis ist. Sollte die Verrücktheit nicht die nämliche Ursache haben? Und wenn ein Bewohner des Irrenhauses schreit, daß er Blitze sieht, daß er den Donner rollen hört, daß sich Abgründe unter seinem Fuß eröffnen; oder wenn eine alte Jungfer, vor ihrem Spiegel sitzend, sich selber Beifall zulächelt, ihre Augen lebhaft, ihre Gesichtsfarbe blühend, ihre Zähne blendend weiß und den Mund klein findet: betrachten dann nicht beide gestörten und durch entfernte Beziehungen getäuschte Hirne eingebildete Dinge für wahr und wirklich?«
    »Ja, gnädige Frau,« antwortete Bloculocus, »das ist der Fall. Wer einen Narren genau beobachtet, der findet, daß sein Zustand nur ein fortdauernder Traum ist.«
    »Ich selbst habe einige Erfahrungen gemacht,« sagte Selim und wandte sich gegen Bloculocus, »auf die Ihre Grundsätze sich wunderbar anwenden lassen, und das bestimmt mich, sie anzunehmen. Einmal träumte mir, ich hörte wiehern und sähe aus der großen Moschee zwei Reihen sonderbarer Tiere nebeneinander herausgehen: sie stolzierten sehr gewichtig auf den Hinterpfoten; ihre Schnauzen waren in Kappen gehüllt, aus deren Löchern oben ein Paar langer, beweglicher, haariger Ohren heraussahen, und lange Ärmel umhüllten ihre Vorderfüße. Damals quält’ ich mich sehr, einige Bedeutung dieser Erscheinung beizumessen; jetzt erinnere ich mich, daß ich den Abend vorher auf Montmartre gewesen war.
    Ein andermal befand ich mich im Felde, wo der Großsultan Erguebzed in Person das Heer anführte. Ich schlief, ermüdet nach einem anstrengenden Marsche, in meinem Zelt, als es mir vorkam, ich habe beim Diwan die Entscheidung eines wichtigen Rechtsstreites zu betreiben. Eben wollt’ ich mich dem Rate der Regentschaft vorstellen, aber denken Sie, wie ich erschrak. Ich fand den Saal voller Raufen, Krippen, Freßtröge und Hühnerbauer. Im Lehnstuhl des Groß-Seneschalls saß ein wiederkäuender Ochse; auf dem Platze des Seraskiers ein Hammel aus der Barbarei; auf der Bank des Teftesdar ein Geier mit krummem Schnabel und langen Klauen; an der Stelle des Kiaja und

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