Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
Seelen gibt, die der Verderbnis unsers Zeitalters entgangen sind und zu lieben verstehn?« – »Zu lieben? Geben Sie sich noch mit solchem Elend ab? Wollen Sie etwa gar geliebt werden?« – »Warum nicht?« – »Bedenken Sie nur, gnädige Frau, ein Mann, der Sie liebt, fordert ebenfalls Liebe und fordert sie ausschließlich. Sie sind zu gescheit, sich der Eifersucht und den Launen eines zärtlichen, treuen Liebhabers zu unterwerfen. Nichts ist so lästig als solche Leute. Man soll nur sie sehn, nur sie lieben, nur von ihnen träumen, nur für sie witzig, fröhlich, reizend sein. Das ist Ihnen gewiß nicht recht. Es würde Ihnen schön stehen, in so eine richtige Leidenschaft zu versinken und sich vor der ganzen Welt so lächerlich zu betragen wie eine armselige Bürgersfrau!« – »Mich deucht, Amisadar, Du hast recht. In der Tat, glaub’ ich, würd’ es uns nicht anstehn, lange Süßholz zu raspeln, Abwechslung ist nötig, und abwechseln will ich auch. Auch seh’ ich nicht, daß die zärtlichen Frauen, die man als Muster aufstellt, glücklicher wären als andere!« – »Wer sagt Ihnen das, gnädige Frau?« – »Niemand, aber ich ahne es.« – »Trauen Sie dieser Ahnung nicht! Eine zärtliche Frau macht sich selbst und ihren Liebhaber glücklich, aber diese Rolle liegt nicht allen Frauenzimmern …« »Auf Ehre, lieber Freund, sie liegt keinem, und alle befinden sich schlecht dabei. Welchen Vorteil kann es auch haben, sich zu binden?« – »Tausend. Eine anhängliche Frau behält ihren guten Namen, wird von ihrem Liebhaber über alles hochgeachtet, und Sie möchten nicht glauben, wieviel die Liebe der Achtung verdankt.« – »Ich verstehe nichts von derlei Reden. Du wirfst alles durcheinander: guten Namen, Liebe, Achtung und ich weiß nicht was noch alles. Man sollte glauben, Unbeständigkeit sei eine Schande. Was heißt das? Ich nehme einen Liebhaber und bin schlecht daran; ich nehme einen andern, der paßt mir auch nicht recht; ich vertausche ihn gegen einen dritten, der mir ebensowenig genehm ist; und wenn ich nun das Unglück gehabt habe, zwanzigmal schlecht zu wählen, so darf ich mich nicht beklagen, so verlangst du …« – »Ich verlange, gnädige Frau, daß eine Dame, die sich bei ihrer ersten Wahl getäuscht hat, keine zweite anstelle, aus Furcht sich von neuem zu täuschen und aus einem Irrtum in den andern zu verfallen.« – »Welche Sittenlehre! Mich deucht, guter Freund, Du predigtest eben eine ganz andere. Darf man fragen, wie ein Frauenzimmer nach Ihrem Geschmack beschaffen sein müßte?« »Das will ich Ihnen gern sagen, meine Gnädige, aber es ist spät, und das würde nur zu weit führen …« – »Desto besser, ich habe niemand, und du kannst mir Gesellschaft leisten. Setze dich auf diesen Armstuhl und fahre fort. So werde ich dir bequemer zuhören können.«
Amisadar gehorchte und setzte sich neben Fanny. »Sie haben da, gnädige Frau,« sagte er, beugte sich gegen sie und enthüllte ihren Busen, »einen Umhang, der Sie ganz vermummt.« – »Du hast recht.« – »Und warum so viel schöne Dinge verbergen?« sprach er und küßte, »was er sah.« – »Hören Sie doch auf! Sie sind wirklich nicht gescheit! Sie werden unverschämt, Herr Sittenrichter! Fahr’ lieber in Deiner Vorlesung fort.«
»So wünscht’ ich denn,« fuhr Amisadar wieder fort, »bei meiner Geliebten ein schönes Gesicht, Verstand, Empfindung und vornehmlich Anstand. Ich möchte, daß sie meine stumme Sorge um sie gutheiße; daß sie mir nicht sozusagen einen stummen Korb gäbe; daß sie mir aufrichtig sagte, ob ich ihr gefalle; daß sie mir selbst die Mittel angäbe, ihr noch mehr zu gefallen; daß sie mir die Fortschritte nicht verhehlte, die ich in ihrem Herzen machte; daß sie nur auf mich hörte, nur für mich Augen hätte, nur an mich dächte, nur von mir träumte, nur mich liebte, sich nur mit mir beschäftigte, nichts täte, als was mich davon überzeugen könnte; und daß, wenn sie endlich meinem Verlangen nachgäbe, ich deutlich sähe, daß ich alles ihrer und meiner Liebe verdankte. Das wäre ein Triumph, meine Gnädige! Wie glücklich ist der Mann, der eine solche Frau besitzt!« – »Aber, mein lieber Amisadar, du weißt nicht, was du redest. Das ist das Porträt einer Frau, die es nicht gibt.« – »Um Verzeihung, meine Gnädige, es gibt solche. Sie sind selten, das räum’ ich ein. Ich war indessen so glücklich, eine zu finden. Ach! hätte der Tod sie mir nicht geraubt, denn es ist immer
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