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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Der würde ihm Saures geben, wenn er wüßte, in welchen Himmeln und in welchen Abgründen er in der letzten Nacht gewesen ist. Gut, daß er heute abend kommt.
    Er saß so tief in seinen Träumen, daß er leicht zusammenschrak, als man ihn anrief. »Hallo, Oppermann.« Es war Rudolf Weinberg, Chef der großen Fabrik für hygienische Artikel. Der elegante beleibte Herr fragte, ob er sich zu ihm setzen dürfe. Er war sichtlich erfreut, Oppermann zu treffen. Er liebte es sonst nicht, setzte er ihm auseinander, länger als zehn Minuten zu gehen; aber man muß sich ja bis ans äußere Ende der Promenade retten, wenn man das Gemecker lossein will, mit dem einem die vielen Flüchtlinge hier die Ohren volljammern. Er hatte sich ächzend hingesetzt. »Man kann sich ja in sie einfühlen, aber es hilft doch nichts, wenn sie einem noch die paar Ferientage mit ihrem Lamento vermiesen. Es ist natürlich schlimm, sehr schlimm. Aber lassen Sie die Völkischen erst einmal sich eingerichtet haben, dann wird sich das einrenken. Alle werden sie besser, sowie sie erst wirklich oben sind. Und wirtschaftlich läßt sich ja die Geschichte nicht schlecht an. Es sind natürlich scheußliche Sachen passiert. Ohne einen Besen kann man nicht kehren. Aber, Hand aufs Herz, sind die Vorfälle nicht Ausnahmen? Und ist es nicht schon besser geworden? Wenn ich heute durch Berlin gehe, man merkt wirklich kaum einen Unterschied. Und darum Zeter und Mordio. Ist ja Mist, was sie machen. Sie reizen die Leute ja nur durch ihr Geschrei. Wennman die Zeitungen aufschlägt, dann glaubt man, man könne in Deutschland nicht über die Straße gehen, ohne angefallen zu werden. Ich finde das nicht richtig.«
    Herr Weinberg saß üppig in der schönen Sonne und schüttelte den Kopf über die Unvernunft der Welt. »Hm«, sagte Gustav nachdenklich, und die senkrechten Furchen waren in seiner Stirn. »Sie finden also, es ist mit den Leuten Kirschen essen? Interessant. Wirklich interessant. Sagen Sie, Weinberg«, fuhr er lebhafter fort, »Sie haben doch eine Filiale in München. Wie ist es denn dort? Waren Sie in letzter Zeit einmal in München?« – »Ja«, sagte Weinberg, »ich bin über München hierhergefahren.« – »Können Sie mir da vielleicht mitteilen«, fuhr Gustav freundlich fort, »wie es dem Rechtsanwalt Michel geht? Man hat ihm die Jacke ausgezogen, ihm die Hosen auf lächerliche Art abgeschnitten, so daß die Unterhosen herausschauten, und ihm ein Plakat um den Hals gehängt: ›Ich werde mich nie mehr über die guten Völkischen beschweren.‹ So hat man ihn durch das Zentrum der Stadt geführt. Er sah ziemlich zerbeult aus. Ich habe Photos gesehen. Und wissen Sie, wie es dem Oberrabbiner von München geht? Den haben sie vor die Stadt gebracht, haben auf ihn angelegt und haben ihn schließlich, eine gute Stunde vor der Stadt, sehr dürftig bekleidet stehen lassen. Es war eine kalte Nacht. Und haben Sie was gehört von dem Rechtsanwalt Alfred Wolf? Der hat eine Geschichte gehabt mit einem christlichen Kollegen, er hatte allerlei Material in der Hand gegen diesen Kollegen. Jetzt ist der Kollege Justizminister geworden. Daraufhin verschwand Rechtsanwalt Wolf im Konzentrationslager. Haben Sie einmal was von einem Konzentrationslager gehört, Weinberg? Es gibt jetzt nämlich Konzentrationslager in Deutschland, dreiundvierzig sind es bis jetzt. Sollten sich mal eines anschauen, Weinberg. Wieviel Kilometer sind es bis Oranienburg? Einige dreißig, glaube ich. Wenn Sie einmal mit Ihrem Wagen einen Ausflug an die See machen, dann machen Sie doch Station in Oranienburg. Da können Sie allerhand sehen. Sie brauchen sich nicht großanzustrengen. Der Rechtsanwalt Wolf also kam ins Konzentrationslager Dachau. Das ist eines von den schlimmsten. ›Lieber Herrgott, mach mich stumm, / Daß ich nicht nach Dachau kumm‹, beten sie in Bayern. Aber der Rechtsanwalt Wolf war nicht stumm gewesen und kam nach Dachau. Er ist reich und hat viele Beziehungen. Man ließ die Beziehungen spielen. Es gab einiges Hin und Her. Der Führer selbst hat seinethalb beim Justizminister interveniert, aber der Justizminister bestand darauf: ›Der Mann gehört mir.‹ Jedenfalls ist drei Tage später ein Polizist bei der Mutter des Dr. Wolf erschienen und hat sie gefragt, ob ihr Sohn schon früher herzleidend gewesen sei. Die Frau nahm an, ihr Sohn habe ein Herzleiden vorgeschützt, um besser behandelt zu werden. ›Ja‹, sagte sie eifrig, ›er hat schon immer ein schwaches Herz gehabt.‹

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