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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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begehen oder ob er in die Armut soll. Und einmal wird er doch nicht mehr an sich halten können, und sie werden ihn hinüberstoßen. Sein Schicksal ist entschieden. In die Armut, in das Proletariat wird er hinunter müssen, seine Kinder werden ein hartes, finsteres Leben haben, er ein hartes, finsteres Alter. Jetzt also bietet ihm dieser Mensch noch eine kurze Frist. Es kostet ihn eine einzige kleine Konzession. Er hat manche Konzessionen gemacht, im Fall des Schülers Oppermann zuletzt. Weitere Konzessionen macht er nicht. Noch steht er diesseits der Grenze, noch steht es bei ihm, wie er den Schritt hinüber tun wird, ob aufrecht, ob stolpernd. Ist er einmal drüben, dann wird er wohl auch innerlich verkommen; er ist alt genug, um zu wissen, daß der Besitzlose keine Aussicht hat, anständig zu bleiben. So will er wenigstens den Schritt hinüber aufrecht tun. »Es ist freundlich von Ihnen, Kollege«, sagt er, »daß Sie es gewissermaßenmir anheimstellen, ob ich hier noch eine Zeit sitzen darf.« Er steht auf; unwillkürlich, es ist wie eine Flucht, geht er hinüber unter die Voltairebüste. »Bestimmt ist die Ruhe und Sicherheit dieses Raumes«, fährt er fort, »das kleine sacrificium intellectus wert, das Sie von mir verlangen. Aber sehen Sie, Kollege«, er spricht doppelt höflich, ein ganz kleines Lächeln unter dem Knebelbart, »ich bin nicht geschmeidig genug, ich habe vielleicht zu wenig ›nordische List‹, um dieses kleine Opfer des Intellekts zu bringen. Es tut mir leid, aber ich muß darauf bestehen: wir sind hier, um den Jungens anständiges Deutsch beizubringen. Es gibt soviel Ethos, in anständigem Deutsch vorgetragen, daß wir auf das Ethos Ihres Führers verzichten können. Denn ob dieser Schriftsteller Kanzler ist oder nicht, es ist eine Qual, sein Buch zu lesen. Das Studium dieses Buches verdirbt das Deutsch der Jugend.«
    Da war er wieder, jener Satz, den Bernd Vogelsang zum Schweigen hatte bringen wollen. Der Mann liegt am Boden, der Mann ist ausgezählt: aber er schweigt nicht. Im Grund imponiert Vogelsang diese Haltung. Da sieht man es, selbst eine welsche Familie akklimatisiert sich, wenn sie erst hundertfünfzig Jahre unter Deutschen gelebt hat. »Ich bedaure aufrichtig«, beendete er quäkend, reserviert, doch nicht bösartig seinen letzten Besuch in diesem Raum, »daß Sie in der falschen Lehre verharren. Es wird mir unter diesen Umständen schwer möglich sein, Sie in das Neue Deutschland hinüberzunehmen. Aber wenn immer meine Überzeugung es zuläßt, werde ich versuchen, Ihnen den Abschied ehrenvoll und nicht zu schwer zu machen.« Und das war sein ernstlicher Wille.
    Natürlich sagte François Donnerwölkchen nichts von Vogelsangs Anerbieten und seiner Antwort. Es ließen sich übrigens diese Tage der Wende freundlicher für ihn an, als er gedacht hatte. Donnerwölkchen nämlich, zu der Überzeugung gelangt, daß das Schicksal ihres Mannes endgültig entschieden war, änderte ihre Haltung. Natürlich wäre es klüger gewesen,er hätte sich der Zeit angepaßt; aber sie hatte ja von jeher gewußt, daß er bei all seiner scheinbaren Schlampigkeit im Inneren ein harter Bursche war; gerade um dieser Zähigkeit willen hatte sie ihn ja geheiratet. Natürlich mußte man versuchen, ihn und die Zeit in Übereinstimmung zu bringen. War das aber mißglückt, waren einmal, wie jetzt, Entscheidungen da, dann hatte es keinen Sinn, den Mann länger zu quälen. Sie wurde also geradezu sanftmütig. Suchte ihn zu trösten. Meinte, er könne jetzt in Ruhe sein Manuskript »Der Einfluß des antiken Hexameters auf die Wortgebung Klopstocks« vollenden, zu was anderem sei er ja doch nicht gut. Sie werde sich mittlerweile bemühen, in irgendeiner Privatschule oder im Ausland eine Stellung für ihn zu finden. Hart wird es sein. Aber drei Jahre hat man Zeit, so lange kommt man unter allen Umständen mit dem vorhandenen Kapital noch aus, und vielleicht kriegt er doch Pension, und sie wird auf alle Fälle Rat schaffen.
    Dieser Zuspruch tat François wohl. Er hat es immer gewußt: Sokrates muß seine Gründe gehabt haben, Xanthippe zu heiraten.
    Jacques Lavendel teilte dem Wirtschaftsführer Friedrich Pfanz mit, daß er Deutschland verlassen und seine deutschen Geschäfte liquidieren wolle. Friedrich Pfanz war einer der Männer, die die Drähte hielten, an denen die Führer der Völkischen tanzten, und Jacques Lavendel war ein vertrauter Geschäftsfreund von ihm. Jacques Lavendel hätte also wohl, noch dazu als

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