Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Amerikaner, ungefährdet in Deutschland bleiben können. Er wollte nicht. »Ich bin gerecht, Pfanz«, sagte er. »Ich weiß, es ist nur ein Teil von euch, der diese Schweinereien gemacht hat. Es ist ein anständiges Volk im Grund, ich gebe es zu. Vierzehn Jahre lang hat es die wüsteste Greuelpropaganda gegen die Juden über sich ergehen lassen müssen – Sie wissen ja, wie es gemacht wurde, Sie sind ja mit schuld daran –, und eigentlich ist es ein Wunder, daß nach alledem nicht mehr passiert ist. Well. Aber zur Zeit ist mir dieLuft bei euch zu schlecht. Ich bin Kapitalist. Ich verstehe Ihre Motive. Ich weiß, daß ihr eure verrottete Wirtschaft nicht anders habt sanieren können als dadurch, daß ihr diesen lausigen Mob zu Hilfe gerufen habt. Aber sehen Sie, ich bin Kapitalist, und ich bin Jude. Wenn Sie mir sagen: Wir schlagen die Juden tot, aber wir meinen nur die Gewerkschaften, dann werden meine Juden davon nicht wieder lebendig.«
Der Wirtschaftsführer Pfanz hätte Herrn Lavendel gern im Land gehalten. Er stellte ihm vor, daß das Ganze ein Interim sei, daß man das Gesindel bald wieder kleinkriegen werde, daß die Reichswehr sich bereithält, die Landsknechte niederzuschlagen, daß dann wieder die Offiziere regieren werden statt der Feldwebel, daß er selber sich entschlossen habe, in die Regierung zu gehen. Und er schlug Herrn Lavendel vor, ihn in das ganz große Versicherungsgeschäft mit hineinzunehmen, zu dessen Tätigung er sich mit dem unbequemen Ministerposten belaste.
Aber Jacques Lavendel zog nicht. »Ich glaube Ihnen schon, Pfanz«, sagte er mit seiner heiseren Stimme, »daß diese famosen Führer die Kandare zu spüren bekommen, wenn Sie in die Regierung eintreten. Aber sehen Sie, ich bin nicht mehr jung, ich bin nicht mehr raffgierig, ich bin nicht mehr neugierig. Mir genügt es, wenn ich mir eure Taten in der Wochenschau irgendeines Auslandskinos anschaue, wie ihr hier groß aufwascht. Ich ziehe es vor, im Geist in euren Reihen mitzumarschieren. Also, machen Sie’s gut, Pfanz, und auf Wiedersehen, wenn Sie abgewirtschaftet haben.«
Er hatte, die Entwicklung vorherberechnend, die Liquidierung seiner Geschäfte von langer Hand vorbereitet. Die Struktur dieser Geschäfte war undurchsichtig. Er kontrollierte eine Reihe großer Immobiliengesellschaften, und es stellte sich jetzt heraus, daß diese Gesellschaften eigentlich insolvent waren. Sie bedurften dicker behördlicher Subventionen, oder die Hypothekenbanken verloren ihr Geld. Da auch viele Hypothekenbanken vom Reich oder von den Ländern subventioniert waren, bedeutete Jacques Lavendels Rückzugaus seinen deutschen Geschäften einen empfindlichen Schaden fürs Reich. Kopfwiegend, mit einem kleinen, kaum merkbaren Lächeln, nahm Jacques Lavendel das hin.
Er war wirklich kein raffgieriger Mann. Er und Klara hatten beschlossen, auf einige Jahre Ferien zu machen. Zunächst werden sie sich auf ihr schönes Besitztum bei Lugano zurückziehen. Sie hatten die drei Brüder Oppermann eingeladen, über Ostern dorthin zu kommen. Auch Heinrich wird um diese Zeit dort sein. Jacques Lavendel hatte seinem Sohne freigestellt, in Europa fertig zu studieren oder in Amerika. Heinrich zog es vor, in einem deutschsprachigen Land zu bleiben, er wird seine Studien in Zürich oder in Bern beenden. Das freute Jacques Lavendel. Er hatte nun einmal seinen Tick für Deutschland.
Heinrich, bevor man das Reich verließ, hatte noch eine gewisse Angelegenheit zu erledigen. Seine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft hatte nur bewirkt, daß in der Wohnung Lavendels ein Kriminalschutzmann erschienen war und Heinrich auf plumpe, lückenhafte Art verhört hatte. Weitere Folgen hatte seine Aussage weder für Werner Rittersteg noch für ihn selber. Werner schien nicht einmal etwas davon erfahren zu haben. In diesem Stadium konnte Heinrich die Sache unmöglich zurücklassen. Immer mehr wuchs in ihm die Vorstellung, dieser Werner Rittersteg mit seinen Jungen Adlern und seinem hämischen Antrag im Fußballklub habe Berthold unter den Boden gebracht. Während er scharf und fruchtlos nachdachte, wie er das bereinigen könnte, kam Werner selber ihm zu Hilfe.
Den Langen Lulatsch hatte der Tod Bertholds nicht unberührt gelassen. Aber mit primitiver Logik sagte er sich, nun Heinrich seinen besten Freund verloren habe, werde er vielleicht seinen Werbungen zugänglicher sein. Sein Vater hatte sein Versprechen wahr gemacht und an seinem in einer Bootshütte am Teupitzsee liegenden
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