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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Ruderboot einen Außenbordmotor anbringen lassen. Beiläufig, als wäre nichts gewesen, lud Werner Heinrich ein, er solle doch einmal mit ihm auf denTeupitzsee hinausfahren und den Motor ausprobieren. Und siehe – Werner Rittersteg stand das Herz still vor froher Überraschung –, Heinrich, nach ganz kurzem Überlegen, nahm an. Ja, er erbot sich, Werner selber nach Teupitz hinauszufahren.
    Er lieh sich also heimlich das väterliche Auto aus, und die beiden Jungens fuhren nach Teupitz. Heinrich chauffierte gut und sicher. Sie stiegen in das Boot, knatternd kreuzten sie auf dem freundlichen See. Werner war verlegen, behindert, aber Heinrichs technisches Interesse an dem Boot half ihm darüber weg. Heinrich war im ganzen zwar einsilbig, doch nicht unfreundlich. Sie setzten sich dann noch in das große, jetzt sehr kahle Restaurant, tranken ein Gemisch aus hellem Bier und Himbeersaft, aßen Würste. Es wurde später Abend, ehe sie die Heimfahrt antraten.
    Werner saß verworrenen Gefühls im Wagen. Sie hatten sich als Sportkameraden miteinander unterhalten, aber das war auch alles; er war keineswegs so weit gekommen, wie er gehofft hatte. Jetzt gar hatte es den Anschein, als ob Heinrich schon bereute, mit ihm herausgefahren zu sein. Jedenfalls war er überaus schweigsam.
    »Wohin fährst du?« fragte Werner, da Heinrich jetzt von der Hauptstraße abbog, mit neu aufkommender Hoffnung. »Dieser Weg ist schöner«, sagte Heinrich, »und nur wenig weiter.« Es war bereits Nacht, die Scheinwerfer rissen ein Stück Kiefernwald aus dem Dunkel, ein kleiner, sehr dünner Mond war. Heinrich fuhr ganz langsam, Werners Beklommenheit stieg. »Man könnte haltmachen und ein paar Schritte herumlaufen«, schlug er vor, mit gepreßter Stimme. »Schön«, sagte Heinrich, hielt, schaltete das Licht aus.
    Sie gingen in den Wald hinein. Der Boden war feucht und holperig, es war ziemlich kalt und sehr dunkel. Ein guter, starker Geruch von Erde und Kiefern war da. Es war vollkommen still, ihre Schritte waren lautlos auf dem weichen, feuchten Boden, nur ab und zu, wenn sie auf dürres Holz traten, knackte es unter ihren Schuhen. Ganz leichter Wind ging.
    Werner, in der Dunkelheit, stolperte manchmal. Plötzlich packte ihn Heinrich. Erst dachte Werner, er wolle ihn vor einem Fall bewahren, aber Heinrich riß ihm das Bein weg, so daß er zur Erde schlug. »Was tust du? Bist du verrückt?« rief Werner. Heinrich antwortete nicht, griff ihm in den Nacken, drückte ihm den Kopf in den feuchten Boden, bis ihm der Atem verging. »Du hast Karper das Messer in den Ranzen gerannt, du Schwein. Du hast Berthold erledigt. Da hast du es, wie es ist, wenn einer erledigt wird.« Er sprach leise, keuchend, heftig. Drückte das Gesicht des andern immer tiefer in den Boden. »Ja, Mensch, jetzt wirst du erledigt«, redete er auf ihn ein. »Sie werden sagen, du seist für deine nationale Sache verreckt. An mich wird niemand denken. Sie werden sagen, die Kommune hat dich erledigt. Vielleicht ist dir das ein Trost. Aber tot ist tot, und die Reden Vogelsangs werden dir wenig helfen.« Er drückte fester. Der andere schlug mit den Beinen um sich, bekam die Arme nicht frei, konnte nicht japsen.
    Plötzlich ließ Heinrich ihn los, sprang von seinem Rücken. »Steh auf«, kommandierte er. Aber der Lange Lulatsch blieb liegen und regte sich nicht. »Steh auf«, herrschte Heinrich ihn an, ein zweites Mal, und riß ihn hoch. »Waschlappen«, sagte er. Werner stand da, jämmerlich, schlotternd, das Gesicht von Reisern zerkratzt, blutig, eine dicke Schramme quer über der Stirn, den Anzug voll von feuchter Erde. »Wisch dich ab und komm«, befahl Heinrich.
    Er selber, hinter seiner Barschheit, fühlte sich hilflos, elend. Er hatte seine Sache bereinigen wollen; es war mißglückt.
    »Komm«, herrschte er den Langen Lulatsch an. Half ihm selber, sich ein wenig säubern. Stützte ihn, half ihm zurück zum Wagen.
    Sie fuhren nach Haus, schweigend. Als sie die erste Straßenbahn erreichten, setzte Heinrich ihn ab.
    In seinem schwarzen Ohrensessel in der Wohnung in der Friedrich-Karl-Straße sitzt Herr Markus Wolfsohn. Das Abendessen war dürftig, Brot, Butter, ein zweifelhafter Aufstrich.Frau Wolfsohn hält jetzt jeden Pfennig zusammen, kontrolliert aufs schärfste die Kasse.
    Heute abend sagt sie Herrn Wolfsohn einmal wieder ihre Meinung. Sie tut das jetzt oft. Sehr deutlich, aber nicht laut. Es ist nicht nötig, daß man es nebenan bei Zarnkes hört. Herr Wolfsohn versteht sie,

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