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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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auch wenn sie leise spricht; sie hat das gleiche schon tausendmal gesagt. Man muß fort, man muß türmen, lieber heute als morgen. Die Frauen hier im Haus, trotzdem die Männer fast alle das Hakenkreuz tragen, reden noch mit ihr, aber nur heimlich; kommt jemand dazu, brechen sie ab. Frau Hoppegart meint, es werde noch viel schlimmer kommen. Alle raten ihr, zu türmen. Aber wie? Und wohin? Zweitausendsechshundertvierundsiebzig Mark sind auf der Bank. Hätte man ihr gefolgt und mehr gespart, hätte Herr Wolfsohn nicht immer so hoch hinausgewollt bei der Einrichtung, dann hätte man seine vier- oder fünftausend zusammen. Der Ohrensessel zum Beispiel. Er war eine Okkasion, eine Mezije, gewiß. Aber wer kein Geld hat, muß eben auch an einer Mezije vorbeigehen können.
    Herr Wolfsohn läßt sie reden. Wenn man im Pech sitzt, begehren die Weiber auf und »haben es immer gewußt«, das ist eine alte Geschichte. Nur nicht so gräßlich übertreiben sollte sie. Vier- oder fünftausend Mark. Niemals hätte man das zusammenkratzen können. Der einzige Luxus, den er sich zeitlebens genehmigt hat, war die neue Fassade. Aber damals sahen die Dinge noch besser aus. Damals schmissen sie einen nur aus der fahrenden Untergrundbahn, nicht aus dem Land.
    Herr Wolfsohn macht einen zaghaften Versuch, Optimist zu sein. Aus den Deutschen Möbelwerken ist er hinausgeflogen: aber sitzt er nicht vorläufig warm bei Herrn Oppermann? Allein damit ist auch alles erschöpft, was Herrn Wolfsohns Optimismus stützen könnte. Von hier an wird es schwarz. Die völkischen Betriebsräte hetzen, der Packer Hinkel verlangt, daß man ihn vor die Tür setzt. Herr Oppermann hat Haare lassen müssen deshalb. Herr Oppermann hat sich sehr anständig benommen, aber wie lange noch wird er ihn halten können?
    Und selbst wenn, es ist keine Freude mehr zu leben. Wenn er so wie jetzt bis an sein Ende soll weiterleben müssen, dann lieber gleich den Gashahn auf. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn bei den Ollen Matjes ausschließen; sie haben ihn gern, aber sie müssen es. Und hier sein Mietkontrakt wird auch nicht erneuert werden. Er sitzt auf Abbruch da, die Wohnung wackelt ihm sozusagen unter den Füßen. Sicher werden sie Mittel und Wege finden, Herrn Zilchow, den Schwager Herrn Zarnkes, vor Ablauf der Frist hereinzusetzen.
    Eigentlich sind in dem Block jetzt lauter Herren Zarnkes. Der Originalzarnke macht sich nicht einmal mehr die Mühe, Drohungen auszustoßen. Sieht er Herrn Wolfsohn, dann streckt er nur den Arm aus und ruft »Heil Hitler«. Und »Heil Hitler« muß Herr Wolfsohn erwidern. »Sagten Sie was?« macht sich dann Herr Zarnke manchmal den Spaß, ihn zu fragen, und »Heil Hitler« muß Herr Wolfsohn wiederholen.
    Was man sonst hört, von den Kollegen im Geschäft, von den paar jüdischen Bekannten, ist schauerlich. Herr Wolfsohn will es gar nicht hören. Sagt man so etwas weiter, hört man es nur an, sitzt man, hastdunichtgesehen, im Konzentrationslager. Auch Marie bringt solche Geschichten mit nach Hause, sehr üble Geschichten, die ostjüdischen Bekannten ihres Bruders Moritz Ehrenreich flüstern sie ihr zu. Aber da wehrt sich Herr Wolfsohn, da begehrt er auf, da verbietet er Marie den Mund, das duldet er unter keinen Umständen, das sind jene Greuelmärchen, die einen ins Zuchthaus bringen.
    Sind es Greuelmärchen? Herr Wolfsohn sagt es sich mit Nachdruck, will, daß sie es seien. Einmal aber, nachts, von einer Inventuraufnahme kommend, hat er vor einem alten Haus im Zentrum ein Auto stehen sehen, eines jener ganz großen Autos, auf denen die Völkischen herumzurasen pflegen. Sie hatten die Scheinwerfer eingeschaltet, so daß die Straße weithin grell im Licht lag. Herr Wolfsohn wollte erst einen Bogen machen, aber er überlegte, das sähe nur auffälligaus; so ging er seinen Weg auf der andern Straßenseite weiter, vorbei an dem riesigen Auto, das, von nur zwei Mann bewacht, mit seinen mächtigen Scheinwerfern sehr unbehaglich und kriegerisch dareinschaute. Offenbar hielten sie eine Haussuchung, eine Razzia oder so etwas. Ja, gerade als Herr Wolfsohn vorbeiging, brachten sie einen heraus. Herr Wolfsohn schaute nicht hin, es war besser, sich um nichts zu kümmern, aber ein ganz klein wenig hinüberschielen mußte er doch, voll ängstlicher Neugier. Er sah einen Menschen in einem braunen Anzug, einem ähnlichen, wie er selber ihn hatte; einer hielt den Menschen am Kragen, einer hielt seinen rechten, einer seinen linken Arm, der Mensch

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