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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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hatten. Fast alle Gelehrten, fast alle Künstler von Rang hatten sich von den Völkischen abgekehrt; welch ein Glücksfall, daß nun plötzlich ein großer Schriftsteller da war, der sich zu ihnen bekannte. Was Gutwetter ohne Arg aus kosmischem Gefühl heraus geschrieben hatte, wurde unversehens zur großen politischen Dichtung. Die Regierung gab Weisung, man habe den Mann groß aufzuziehen. Man zog ihn auf. Alle Zeitungen druckten seine Aussprüche, er wurde von den Führern hoch geehrt, war über Nacht volkstümlich. Fern von kleinlichem Ehrgeiz schaukelte er dennoch nachsichtig lächelnd in seinem Erfolg. Ließ es sich gefallen, als Ehrengast den vielen großen Festen beigezogen zu werden, die die völkischen Minister veranstalteten; bedeutend ragte sein stiller, großäugiger Kopf aus der markanten, verschollenen Tracht, die Photographen hatten ihre Freude daran. Er nahm es hin, naiv geschmeichelt; so freut sich ein Erwachsener an den Spielen der Kinder, sagte er zu seinen Bekannten.
    Er suchte Sybil auf seinen späten, wunderbaren Aufstieg mitzunehmen. Sie schmiegte sich ihm willig an, in ihrer netten, vertraulichen Art. Solange sie um Gustav war, hatte sie seine liberalen Anschauungen geteilt, die Völkischen waren ihr unsäglich dumm und plump erschienen. Das schloß nicht aus, daß, bei säkularer Betrachtung, die Visionen Gutwetters Wahrheit wurden. Sie hatte nicht viel Interesse an politischen Dingen, sie legte sich da nicht fest. Sie war keine Seherin wie Gutwetter; was dem Dichter bereits Gestalt war, blieb ihr noch lange im Nebel. In ihrer hurtigen, kühlen, kindlichen Art spaßte sie über die zahllosen grotesken Dummheiten, die den Völkischen unterliefen, und Friedrich Wilhelm Gutwetter lachte herzlich mit.
    Aber nach kurzer Zeit verlor Gutwetters großlinige Einfalt den Reiz, den sie zu Anfang für sie gehabt hatte. Sie begann, seine weiträumigen Sätze als geschmacklos zu empfinden, als wolkig; sein hymnischer Lyrismus fing an, sie anzuöden. Wassie von ihm literarisch hatte lernen können, hatte sie gelernt. Seine immer gleiche, kindliche Bewunderung ihrer Person wurde ihr langweilig. Sie sehnte sich nach Gustav, nach seiner Liberalität, seiner Weltläufigkeit. Der hatte, was an ihr gut war, mit unaufdringlicher Kennerschaft gerühmt, was ihm mißfiel, mit ebenso unaufdringlichem Tadel gerügt. Nach der urteilslosen Verehrung Gutwetters brauchte sie doppelt diese kritische Freundschaft. Sie bereute, daß sie an Gustavs Dingen so wenig Anteil genommen, mit dem treuen Frischlin so lose Verbindung gehalten hatte.
    Aber Gustav ist ein verträglicher Mann. Es hat öfters Zeiten gegeben, in denen sie so mit sich beschäftigt war, daß für ihn wenig übrigblieb. Er hat sie das niemals entgelten lassen. Er wird es auch jetzt nicht tun. Nach langem Schweigen depeschierte sie ihm, sie sei mit ihrer Arbeit so weit, daß sie kommen könne.
    Dieses Telegramm erreichte Gustav zu einer Zeit, da er am weitesten von ihr entfernt war. Die Dokumente Bilfingers lagen in seinem Schreibtisch, er hatte niemand, mit dem er darüber reden konnte. Sein Freund Johannes Cohen war im Konzentrationslager, in der Feste Herrenstein in Sachsen. Wenn er die Augen schloß, sah er ihn, abgezehrt, auf einer Kiste stehend, Kniebeugen machend, grotesk, den edlen Kopf kahlgeschoren, nur ein Hakenkreuz aus Haaren darauf, und nach jeder Kniebeuge rufend: »Ich bin der Schweinehund Johannes Cohen, der sein Vaterland jüdisch verraten hat.« Es war schauerlich. Johannes Cohen sah in dieser Vision wie ein Hampelmann aus, wie ein berühmter Tänzer, den Gustav einmal in einer Pantomime gesehen hatte, er sprang hoch, gelenkig, federnd, er krächzte seinen Satz herunter wie ein Papagei. Gustav mußte lachen, und das Lachen tat sehr weh. Mehr noch als früher wurde jetzt nach der Verhaftung des Johannes Gustav hin und her gerissen zwischen nüchterner Vernunft und der Leidenschaft des empörten Anklägers. Dahinein also kam das Telegramm Sybils, seiner kleinen, dünnen Sybil. Nein, er kann sie jetzt nicht hier haben.Über diese Dinge konnte er nicht mit ihr sprechen, und er konnte über nichts anderes sprechen als über diese Dinge. Vor kurzer Zeit hat er sie dringend gebraucht, da hatte sie sich abseits gehalten. Jetzt blieb ihm nichts übrig, als sie beiseite zu schieben. Er tat das mit einer leisen, möglichst behutsamen Geste.
    Aber Sybil sah nichts von der Geste, sie sah nur die Absage. Schmollend wie ein Kind verzog sie die Lippen,

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