Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
sehr weißem, kurzem Haar, kleine, platte Nase, etwas vorstehende, blaue Augen unter dicken, weißen Brauen. »Ich würde einfach darauf scheißen, meine Tochter«, poltert er heraus in seinem unbekümmerten Bayrisch. Die Worte kommen ihm wie Felsbrocken aus dem großen Mund mit den vielen Goldzähnen. »Ein Saustall«, grollt er und schlägt mit der roten, dickgeäderten Hand auf die Zeitungsblätter mit den angestrichenen Artikeln. »Alle Politik ist ein Saustall. Wenn man nicht unbedingt anders muß, soll man sie einfach ignorieren. Dann raucht er der Saubande am meisten.« – »Aber er ist Staatsbeamter, Herr Geheimrat«, grollte Schwester Helene. »Von mir aus«, grollte der alte Lorenz zurück, »braucht er deshalb das Pack noch lange nicht zu verklagen. Wer da hineinlangt, macht sich nur selber die Hände dreckig. Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen, meine Tochter. Solange der Minister mir Ruhe läßt, tu ich keinen Schnaufer. Das da«, er wischte die Zeitungen weg, »existiert nicht für mich. Verlassen Sie sich darauf.« – »Wenn Sie meinen, Herr Geheimrat«, zuckte Schwester Helene die Achseln, und da sie Edgar kommen hörte, verdrückte sie sich, nicht sehr beruhigt.
Edgar Oppermann entschuldigte sich wegen der Verspätung.Geheimrat Lorenz stand nicht auf, streckte ihm die große Hand hin, gab sich besonders gemütlich. »Also, Kollege, ich gehe gleich medias in res. Sie erlauben schon. Ich möchte mich einmal ordentlich mit Ihnen über diese Angelegenheit Jacoby ausschleimen.« – »Ist die so kompliziert?« fragte Edgar Oppermann zurück, sogleich unmutig, nervös.
Geheimrat Lorenz leckte sich die goldenen Zähne, bestrebt, sich doppelt gemütlich zu geben. »Was ist heutzutage nicht kompliziert, lieber Oppermann? Der Bürgermeister ist ein Schisser. Er kriecht dem Ministerium in den Arsch. Er schnüffelt nach jedem Wind, der von oben kommt. Die Subventionen für die Kliniken sind sowieso immer schwerer durchzudrücken. Gerade für Ihre Geschichten, lieber Oppermann, für Theoretisches, fürs Labor, da winseln sie um jede Reichsmark, bis sie damit herausrücken. Wir müssen Rücksichten nehmen. Ihr Jacoby ist natürlich der gegebene Mann. Ich könnte nicht sagen, daß er mir besonders sympathisch ist, das wäre gelogen; aber ein Wissenschaftler ist er, da fehlt sich nichts. Auch der Varhuus hat sich nicht getraut, ihn geradezu abzulehnen. Aber wissen Sie, wen er in ernstliche Erwägung gezogen haben will? Den Reimers, Ihren Reimers, Kollege Oppermann.«
Edgar Oppermann ging auf und ab, schnellen, knappen Schrittes, mechanisch bemüht, seinem schweren Leib Beweglichkeit abzuringen. Was immer geschieht, Professor Varhuus, sein Kollege an der Berliner Universität, wird opponieren, wenn es von ihm, Edgar, ausgeht. Den Dr. Reimers vorzuschlagen ist verdammt schlau. Dr. Reimers ist Edgars zweiter Assistent, bei den Kranken sehr beliebt, ein sympathischer, offener Mensch. Edgar ist nicht gegen Reimers, aber er ist für Jacoby. Seine Situation ist schwierig. »Was meinen Sie, Kollege?« fragte er, immer auf und ab gehend.
»Ich habe Ihnen schon erklärt, Oppermann«, sagte Lorenz, »ich bin im Prinzip für Ihren Schlemihl. Aber ich sag’s Ihnen pfeilgerade, ich sehe Schwierigkeiten. Gewisse maßgebliche Herren schauen jetzt mehr auf repräsentatives Äußeres alsauf qualitatives Inneres. Diese Saupolitik. Unter allen Umständen ist Reimers Ihrem kleinen Jacoby um eine Vorhautlänge voraus. Ich glaube nicht, daß die Herren vom Magistrat eine Aktphotographie verlangen; aber eine persönliche Vorstellung ist sicher dem einen oder andern erwünscht. Ich weiß nicht, ob eine solche Vorstellung die Chancen unseres Jacoby verbessert.«
Edgar blieb stehen, ziemlich entfernt von Geheimrat Lorenz. Seine brummige Stimme klang plötzlich im Gegensatz zu dem undeutlichen Gepolter des andern seltsam bestimmt. »Wünschen Sie, daß ich die Kandidatur des Dr. Jacoby zurückziehe?«
Lorenz richtete die vorquellenden Augen auf Edgar, wollte etwas Kräftiges erwidern, tat es nicht. Vielmehr sagte er auffallend mild, ohne seinen sonstigen Schwung: »Ich wünsche gar nichts, Oppermann. Ich wünsche offen mit Ihnen zu reden, das ist alles. Der Reimers ist mir der liebere, ich sag es, wie es ist, aber als Wissenschaftler bin ich für Ihren Jacoby.«
Edgar Oppermann, mit einer umständlichen Bewegung, rückte sich einen Stuhl zurecht, setzte sich schwer nieder; er wirkte im Sitzen groß, wie alle
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