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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Oppermanns. Trüb saß er, die künstliche Frische war weg. Der alte Lorenz erhob sich auf einmal, reckte sich, der rote, weißhaarige Kopf saß riesig auf dem ungeheuren Körper. Kolossalisch, den weitwallenden, weißen Kittel um den mächtigen Leib, kam er auf Edgar zu. Ein richtiger Arzt, hatte Lorenz einmal zu einem zaghaften Studenten gesagt, kann alles, macht alles, fürchtet Gott und sonst nichts in der Welt. Fürchtegott hieß er seitdem bei seinen Studenten. Aber heute war er nicht der zürnende Jehova. »Ich mache mir nichts vor, lieber Oppermann«, sagte er so mild wie möglich. »Ich bin im Grund ein alter Bauerndoktor. Ich verstehe mich auf meine Patienten, und ich rieche ihnen manches ab, was ihr jungen Leute nicht wißt. Ich weiß aber sehr viel nicht, was ihr jungen Leute wißt. Der Reimers ist im ganzen eher mein Schlag. Aber ich ziehe Ihren Jacoby vor.«
    »Was ist also zu tun?« fragte Edgar.
    »Das wollte ich Sie fragen«, sagte der alte Lorenz. Und da Edgar Oppermann beharrlich schwieg, einen kleinen, ungewohnt ironischen Zug um seinen langen Mund, fügte er hinzu: »Ich gebe Ihnen glatt zu, ich könnte Ihren Jacoby ohne weiteres durchbringen. Aber mit der Subvention schaut es dann böse aus. Soll ich das riskieren? Wollen Sie das?« Oppermann gab einen brummigen Ton von sich, ein sonderbares Gemisch von bitterem Lachen und Ablehnung. »Na also«, sagte Lorenz. »Dann bleibt nur eine einzige Taktik: die Entscheidung hinauszögern. Die politische Situation kann sich in einem Monat zum Guten geändert haben.« Oppermann brummte etwas. Lorenz nahm es für Zustimmung. Er schnaufte, froh, das unangenehme Gespräch hinter sich zu haben, legte Oppermann die Hand auf die Schulter. »Wissenschaft hat einen langen Atem. Da muß halt der Jacoby ein bißchen warten.« Der weiße Kittel wallte mächtig um seine breiten Hüften, er war im Aufbruch. »Es müßte einer da sein, der das Aussehen des Reimers mit den Qualitäten des Jacoby verbindet. Anders tun sie’s nicht. Es liegt an der Fragwürdigkeit der menschlichen Natur, Kollege. Eine beschissene Angelegenheit«, sagte er, schon unter der Tür, es klang wie abziehendes Gewitter. »Die menschliche Natur meine ich.«
    Als Lorenz fort war, stand Edgar auf, ging, die senkrechten Furchen über der Nase, die Füße nach einwärts, ein paarmal ungewohnt langsam durch den Raum. Dann, merkwürdigerweise, redete er sich ein, die Unterredung sei gar nicht so unbefriedigend verlaufen. Der alte Lorenz hielt jedenfalls zu dem kleinen Jacoby, und der alte Lorenz war ein Mann. Seine üble Laune verflog schnell wie die eines Kindes. Als Schwester Helene eintrat, hatte er schon wieder blauen Himmel überm Gesicht.
    Schwester Helene, im Gegensatz zu Oppermann, war von ihrer Unterredung mit dem alten Lorenz weniger befriedigt. Auf ihre handfeste Art hatte sie jedes seiner Worte überlegt. Er hat versprochen, den Professor nicht zu einer Klage zuzwingen, ehe der Minister ihn darauf hinweist. Der Minister wird aber bestimmt hinweisen. Sie müßte ihren Professor vorbereiten. Ich glaube, es ist doch besser, ich injiziere ihm die Artikel.
    Als sie aber Edgars strahlendes Gesicht sah, beschloß sie trotz ihrer Energie, es zu verschieben. »War es sehr unangenehm?« begnügte sie sich zu fragen. »Nein, nein«, lächelte Edgar Oppermann sein freundlich verschmitztes Lächeln. »Zwei zu drei.«
    In der Fünfminutenpause vor der deutschen Stunde gab sich Berthold männlich, tat, als hätte er vergessen, was bevorstand, sprach mit den Kameraden über Gleichgültiges. Auch Oberlehrer Vogelsang tat, als kümmerte ihn nicht das Ereignis, das jetzt steigen sollte. Er trat ein, setzte sich stramm vors Katheder wie immer, blätterte in seinem Notizbuch. »Was hätten wir also heute? Richtig, den Vortrag Oppermanns. Bitte, Oppermann.« Und als Oppermann vorgetreten war, fügte Vogelsang, heute offenbar sehr gut aufgelegt, mit scherzhaft wohlwollender Aufmunterung hinzu: »Wolfram von Eschenbach, beginne!«
    Berthold stand da, zwischen Katheder und Schulbänken, betont lässig, den rechten Fuß vorgesetzt, den rechten Arm hängen lassend, die linke Hand leicht in der Hüfte. Er hatte sich’s nicht leicht gemacht, war keiner Schwierigkeit ausgewichen. Aber er hatte es geschafft; er wußte jetzt klar, was uns oder was zumindest ihm Hermann der Deutsche bedeutete. Vom Standpunkt der Rationalisten aus mochte die Tat Hermanns nutzlos erscheinen, aber eine solche Auffassung hielt nicht stand vor

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