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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Rektors wehrlos einstecken, man konnte nichts dagegen vorbringen. Der unsichtbare Säbel war ihm entfallen. Er saß da, die Lippen verkniffen, schweigend.
    Rektor François hatte zunächst noch seine Empörung genossen. Das Leben zwingt einen zu Opfern des Intellekts, Donnerwölkchen hat ihm da manche Konzession abgerungen; allein so tief ist er noch nicht gesunken, daß man es wagen dürfte, ihm den Kot des Buches »Mein Kampf« als Parfüm aufzuschwatzen. Allmählich aber beunruhigte ihn das finster verbissene Gesicht des Oberlehrers, sein böses Schweigen. Rektor François hat sein geliebtes Deutsch mit Kraft verteidigt, jetzt ist es genug. Er wandelte sich zurück in den konzilianten Herrn, der er von Natur war. »Verstehen Siemich recht, Kollege«, begütigte er. »Es liegt mir fern, etwas gegen Ihren Führer zu sagen. Sie wissen, wie Kaiser Sigismund jenen Bischof abtat, der seine grammatikalischen Fehler bemängelte: ›Ego imperator Romanus supra grammaticos sto.‹ Von Ihrem Führer verlangt niemand, daß er die deutsche Grammatik beherrscht: aber von den Schülern des Königin-Luise-Gymnasiums verlange ich das.«
    Es klang wie eine Entschuldigung. Aber es blieb eine Frechheit von diesem François, so ohne Scheu von den Mängeln des Führers zu sprechen. Was ihm, Vogelsang, zu denken erlaubt war, das zu sagen blieb diesem weibischen Manne noch lange verboten. Auf keinen Fall wird sich Bernd Vogelsang von seiner Sache abbringen lassen. Trotz alledem! denkt er.
    In diesem Augenblick wurde dem Oberlehrer Dr. Bernd Vogelsang die Ahndung dessen, was der Schüler Oppermann verbrochen hatte, zur Lebensaufgabe.
    »Zur Sache, Herr Rektor«, quäkte er, und jetzt war der unsichtbare Säbel wieder da. »Es liegt im Fall Oppermann nicht nur eine Schmähung des Deutschtums vor, die in diesen Zeiten an Verrat grenzt, sondern auch eine ungewöhnlich dreiste Verletzung der Schuldisziplin. Ich muß Sie nochmals fragen: was gedenken Sie gegen den widerspenstigen Schüler Oppermann zu unternehmen?«
    Rektor François saß da, müde, höflich, ungefährlich wie zuvor. »Ich werde es mir überlegen, Herr Kollege«, sagte er.
    Gerüchte hatten im Königin-Luise-Gymnasium schnelle Beine. Ein Jahr zuvor hatte Pedell Mellenthin den jungen Oppermann, Sohn des Möbelgeschäfts, überaus devot gegrüßt. Jetzt schaute er weg, als Berthold das Gebäude verließ. Hingegen stand er noch stramm, als Oberlehrer Vogelsang schon zwei Schritte entfernt war. Wer hat es immer gesagt, daß der Neue den Lahmärschen einmal zeigen wird, was eine Harke ist? Und wer hat es jetzt gezeigt? Wieder einmal hat sich erwiesen, was für eine Nase Pedell Mellenthin hat.In zweihundertzwölf von den zweihundertsiebzig Wohnungen des Blocks an der Friedrich-Karl-Straße in Tempelhof brannten Weihnachtsbäume. Sie hatten zwischen einer und vier Mark gekostet; es waren bescheidene Tannenbäumchen zumeist, geschmückt mit Flitter aller Art, mit Kerzen und Lametta, mit sehr buntem, nicht eben bekömmlichem Naschwerk. Geschenke lagen darunter, sehr verschiedenartige, und doch immer das gleiche: Wäsche, Bekleidungsstücke, Zigarren, Schokolade, Spielzeug, Pfefferkuchen. Besonders Großzügige hatten sich zu einem Photographenapparat aufgeschwungen, zu einem Radioapparat, auch zwei Fahrräder wurden in dem Block an der Friedrich-Karl-Straße geschenkt. Die Preisetiketten der einzelnen Geschenke waren zumeist entfernt worden, aber lange brauchte der Beschenkte nicht zu fragen, um die genaue Höhe des Preises zu erkunden.
    Auch in der Wohnung Markus Wolfsohns brannte ein Weihnachtsbaum. Herr Wolfsohn war großzügig gewesen. Er hatte für den Baum zwei Mark siebzig genehmigt; ursprünglich hatte er drei Mark fünfzig kosten sollen, aber der Händler hatte sich um achtzig Pfennig herunterdrücken lassen. Herr Wolfsohn hatte es übrigens leicht, sich großzügig zu zeigen. Das Unwahrscheinliche war geschehen: das tüchtige Pferd Quelques Fleurs hatte Sieg und Platz gebracht. Am 1. Dezember war Herr Wolfsohn im Besitz eines Überschusses von zweiundachtzig Reichsmark gewesen, von denen Frau Wolfsohn nichts wußte. Aber teilhaben sollte sie an dem verheimlichten Überschuß. Er hatte die Spendierhosen angezogen. Da stand sie vor dem längst gewünschten Reservebettüberzug, überrascht von seiner Qualität. Nur fünfundzwanzig Mark hatte Herr Wolfsohn dafür aufgewandt. Sie bewunderte ihn. Sie hätte kein Geschäft gewußt, wo sie für einen solchen Bettüberzug weniger als

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