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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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vermutlich, die einen aus der fahrenden Untergrundbahn werfen, ein Hakenkreuzler jedenfalls, aber Herrn Wolfsohns Bereitschaft zum Dienst am Kunden war in den meisten Fällen auch mit solchen Typen fertig geworden. Er verging fast vor Scham, daß ihm diese Pleite ausgerechnet heute passieren mußte, unter den Augen des Chefs. Und richtig, Martin Oppermann kam, kaum daß der Kunde gegangen war, mit seinem schweren Schritt auf Herrn Wolfsohn zu. »Haben Sie eine Pleite gemacht, Wolfsohn?« fragte er. »Leider ja, Herr Oppermann«, sagte Wolfsohn, wartete auf den Krach, der nun kommen mußte, hatte tausend Argumente parat, dabei aber sehr gut wissend, daß keines dieser Argumente zureichend war: eine Pleite durfte es eben einfach nicht geben.
    Und nun geschah das Wunder. Kein Krach kam. Vielmehr sah ihn Martin Oppermann an aus seinen trüben, braunen Augen, und dann sagte er: »Machen Sie sich nichts daraus, Wolfsohn.«
    Markus Wolfsohn war ein behender Herr, von hurtigem Verstand; aber das verschlug ihm die Sprache. Martin Oppermann war offenbar verrückt geworden. »Sie kommen mir übrigens verändert vor«, fuhr der Verrückte jetzt fort, »frischer, jünger.« Wolfsohn riß sich zusammen, suchte eine Antwort.»Das sind nur die Zähne, Herr Oppermann«, stammelte er. Gleich fiel ihm ein, daß es ungeschickt war, sich dem Chef als Verschwender zu zeigen; der Wahnsinnsanfall Herrn Oppermanns hat ihn um jede Fassung gebracht. »Ich habe Schulden darauf machen müssen«, beeilte er sich hinzuzufügen, »aber ich konnte es nicht länger anstehen lassen.« – »Sie haben einen Jungen, Wolfsohn, nicht?« erkundigte sich Martin Oppermann. »Einen Jungen und ein Mädchen, Herr Oppermann«, erwiderte Wolfsohn. »Eine Verantwortung in dieser Zeit. Man ist vernarrt in die Gören, aber manchmal wünscht man, sie wären nicht da.« Er lächelte entschuldigend, ein bißchen fatal, weiß und golden.
    Martin Oppermann sah ihn an. Wolfsohn erwartete, er werde irgend etwas Leichtes sagen, ein Scherzwort, etwas Frisches, Munteres. So gehörte es sich. Das tat Martin Oppermann auch. »Kopf hoch, Wolfsohn«, sagte er. Aber dann fügte er etwas Erstaunliches hinzu, etwas ganz Abwegiges, Unnatürliches, für den Chef eines so großen, alten Hauses durchaus Unpassendes. Sehr leise nämlich, und wie es Wolfsohn schien, trüb und grimmig zugleich, sagte er: »Wir haben es alle nicht leicht, Wolfsohn.«
    Martin Oppermann hatte es wirklich nicht leicht. Die Wahlen kamen näher. Die Völkischen werden zur Macht kommen, mit ihnen Willkür und Gewalt, niemand mehr zweifelt daran. Und was hat man im Möbelhaus Oppermann getan, um sich vor dem kommenden Sturm zu sichern? In den nächsten Tagen werden die Oppermann-Geschäfte, mit Ausnahme des Stammhauses, in den Deutschen Möbelwerken aufgegangen sein. Damit hat man sich begnügt. Die bitter notwendige Verbindung mit Wels, die durch sein Verschulden auf so alberne Art abgerissen ist, hat man sie neu geknüpft?
    Martin Oppermann saß allein im Chefkontor, stützte beide Arme schwer auf die Platte des Schreibtischs, starrte finster aus seinen trüben, braunen Augen vor sich hin. Schonpfiff es von allen Seiten gegen die Oppermanns los. Fast täglich erschien ein Angriff gegen Gustav oder gegen Edgar, und auch die Firma begannen sie zu attackieren. Stak Wels dahinter? Martin holte umständlich den Zwicker heraus, ging schwerschrittig vor das Blatt, das, in Glasumrahmung, von der Wand verkündete: »Der Kaufmann Immanuel Oppermann aus Berlin hat der Deutschen Armee durch seine Lieferungen gute Dienste geleistet. Der Generalfeldmarschall: gez. v. Moltke.« Er nahm das gerahmte Blatt von der Wand, drehte es um, mechanisch, betrachtete die leere Rückseite. Jetzt verbreiteten sie ein Schreiben, in dem das Möbelhaus Oppermann dem Roten Sportverein eine Spende von zehntausend Mark überwies, druckten es faksimiliert in ihren Zeitungen ab, hängten es in den Kasernen der völkischen Truppen auf. Das Schreiben war getippt auf einem echten Briefbogen des Möbelhauses Oppermann, war ordnungsgemäß von ihm unterschrieben. Nur handelte es sich nicht um den Roten Sportverein, sondern um den Jüdischen, und nicht um zehntausend Mark, sondern um tausend. Aber er hatte gut dementieren. Es ging ihm nicht besser als seinem Bruder Edgar, den sie mit Dreck bewarfen, trotzdem die lebendigen Zeugen seiner Wissenschaft und Kunst zu Hunderten herumliefen.
    Martin hängte den gerahmten Brief wieder an die Wand, schüttelte

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