Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Kosten des großen Ausflugs, der Herrenpartie, die alljährlich am Himmelfahrtstag stattfand. Als nun einmal Herr Wolfsohn einen besonders hohen Gewinn buchen konnte und seine Partner meckerten, hatte er bei Einzahlung der zwanzig Prozent in die Vereinskasse, seine Partner gutmütig tröstend, geäußert, das komme ihnen ja doch am Himmelfahrtstage zugute. »Du, August«, hatte er zu dem Hauptverlierer gesagt, »säufst ja sowieso alleine die halbe Bowle aus.« – »Mach dich man nicht mausig, Mensch«, war der eingeschnappt, »du hast Dusel, wenn wir dich im Sommer überhaupt noch mit in die Karre nehmen.« Das war natürlich nur ein dummer Witz, August war besoffen gewesen, und Wolfsohn hatte getan, als habe er nichts gehört. Aber Augusts Hieb saß, Augusts Worte kratzten Herrn Wolfsohn noch heute.
Vielleicht hatte Schwager Moritz Ehrenreich doch recht, der jetzt endgültig abhaute. Ja, es war nun soweit: am 3. März wird sich Moritz Ehrenreich nach Palästina einschiffen, in der französischen Stadt Marseille, auf dem Dampfer »Mariette Pacha«. Er wird Druck und Herausgabe einer hebräischen Sportzeitung übernehmen in der palästinensischen Stadt Tel Aviv. Er hat sich übrigens bis zuletzt großzügig gezeigt; einiges aus seinem Hausrat überläßt er Wolfsohns. Herr Wolfsohn sieht ihn mit einem nassen, einem heitern Auge scheiden. Er merkt, nun Moritz ernstlich fortgeht, daß er ihn mehr vermissen wird, als er geglaubt hat; auf der andern Seite ist er froh, ihn los zu sein; denn er hat, trotz seiner muntern Reden, dem ewigen Gemecker des Schwagers nicht mehr die Zuversicht entgegenzusetzen wie früher.
Nein, Herrn Wolfsohns Sicherheit ist unterhöhlt, von allen Seiten angeknabbert. Es sind nicht nur jene kleinen Ereignisse in Lehmanns Caféstuben oder im Alten Fritz, im Kreis der Ollen Matjes. Viel bedenklicher schon ist die Sache mit Hausverwalter Krause und mit dem feuchten Fleck über dem Bild »Spiel der Wellen«. Herr Wolfsohn ist leider keineswegsmehr dicke mit Hausverwalter Krause. Gewiß sprechen die beiden Herren noch ein paar Worte miteinander, wenn sie sich gelegentlich treffen; aber es kommt kaum noch vor, daß Herr Krause ihm einen Witz erzählt. Und als unlängst Herr Wolfsohn ihn direkt gestellt hat, wann denn nun der feuchte Fleck endlich beseitigt werden wird, der jetzt schon weit unter das Bild hereinragt, da erklärte Hausverwalter Krause patzig und geradezu, bei der billigen Miete solle sich Herr Wolfsohn man nicht so haben; es gebe eine Menge Leute, die ihm die Wohnung mitsamt dem Fleck mit Handkuß abnähmen. Hausverwalter Krause wird ihm den Mietkontrakt natürlich trotzdem verlängern, Herr Wolfsohn zweifelte nicht daran. Aber eine treudeutsche Chuzpe bleibt diese Äußerung doch, und Herr Wolfsohn wird sie ihm nicht vergessen.
Allein Verhandlungen mit Hausverwalter Krause waren ein Festessen, gemessen an gelegentlichen Begegnungen mit Herrn Rüdiger Zarnke. Während der Arbeiten an der Brücke hatte sich Herr Wolfsohn ausgemalt, welch besondere Genugtuung es ihm sein werde, fortan, im Besitz der neuen Fassade, Herrn Zarnke auf der Treppe zu begegnen. Bisher nämlich, wenn die beiden Herren einander begegneten, hatte Herr Zarnke die Gewohnheit, höhnisch vor sich hin zu lächeln, wobei er seine starken, weißen Zähne zeigte. Es hatte Herrn Wolfsohn sehr gewurmt, daß er, aus Rücksicht auf seine eigenen schadhaften Zähne, dieses Hohnlächeln nicht erwidern konnte, und die Vorstellung, wie er, im Besitz der neuen Fassade, den Hohn Herrn Zarnkes weiß und golden zurücklächeln werde, ließ sein Herz hochschwellen. Er hat sich zu früh gefreut. Herr Zarnke war unter die völkischen Truppen gegangen, war Truppführer geworden. Stolz in seiner braunen Pracht, in hohen Stiefeln, zwei Sterne am Kragen, knarrte er die Treppen auf und nieder. Herrn Wolfsohn, sah er ihn von fern, wurde es schwach in den Knien; er zog es vor, umzukehren, die Treppe wieder zu ersteigen, sich in seine Wohnung zu verkriechen. Aber auch hier war er nicht mehr sicher. Herr Zarnke, vor allem wenn er wußte, daßWolfsohn zu Hause war, brüllte mit mächtiger Stimme die völkische Hymne mit den Versen vom Judenblut, das vom Messer spritzt. Erzählte seiner Frau in lauten, unüberhörbaren Worten, wie die Völkischen, sowie sie erst, am 5. März, die Macht übernähmen, aus den Juden Hackepeter machen würden. Erging sich in grimmigen Details. Wie die Juden vom Bürgersteig wegzutreten hätten, sowie ein völkischer
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