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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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langsam und mehrmals den Kopf, ging zurück an seinen Schreibtisch. Plötzlich, erschreckend, veränderte sich sein großes Gesicht. Die schläfrigen Augen wurden drohend. Er haute mit der schweren Hand auf den Schreibtisch. »Bande, verfluchte«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.
    Das Fluchen nützt nichts. Er hat achtundvierzig Jahre hindurch Haltung bewahrt. Das sollen sie nicht erleben, daß er sie verliert.
    Ob man vielleicht doch in den Verhandlungen mit Wels weitergekommen ist? Brieger, der sonst so gesprächige, quicke Herr Brieger, dieser verdammte Brieger, schweigt sich aus, und Martin scheut sich, ihn geradezu zu fragen.
    Schwer, fleischig, verdrossen sitzt er da. Er wird nur zu bald etwas über die Verhandlungen mit Wels erfahren. Er ahnt es, fürchtet es, weiß es. Heute abend wird er es erfahren, aus einem Munde, aus dem er es noch viel weniger gern hört als aus dem Munde Herrn Briegers. Jacques Lavendel hat ihn für heute abend eingeladen, hat ihn dringlich gebeten; es handle sich um Wichtiges. Es kann sich um nichts anderes als um Wels handeln. Und wie unangenehm muß die Mitteilung sein, daß Brieger sie ihm nicht persönlich macht, sondern Jacques Lavendel darum bemüht.
    Des Abends findet Martin seinen Schwager Jacques vielwortig und unumwunden wie immer. Man nötigt ihm Brötchen auf, bestrichen mit besonders delikater Gänseleber, dazu sehr guten Portwein. Bei Jacques muß immer gegessen und getrunken werden. Jacques steuert gerade auf sein Ziel los. »Wenn wir genötigt wären«, sagt er mit seiner heiseren Stimme, »mit Klaras Geschäftsanteil zu rechnen, wenn wir nicht Gott sei Dank auch ohne das leben könnten, ich versichere Ihnen, Martin, dann würde ich diesen Geschäftsanteil jetzt zu jedem Preis losschlagen. Wenn es nicht noch in den paar Tagen gelingt, größere Sicherheiten einzubauen als die zweifelhafte mit den Deutschen Möbelwerken, dann sehe ich Tischo b’aw voraus. Ja«, sagt er und beißt träumerisch, die Augen halb geschlossen, den größeren Teil des kleinen Gänseleberbrötchens ab, »Brieger hat mich ersucht, Ihnen mitzuteilen, wie die Verhandlungen mit Wels stehen. Sie, Martin, werden wahrscheinlich finden«, er lächelt sein fatales, freundliches Lächeln, »sie stehen schlecht: ich finde, sie stehen nicht schlecht.« Er spült den Rest des Brötchens mit einem Schluck Portwein hinunter. Martin sieht zu, die Sekunden dehnen sich ihm, seine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, der essende, schluckende Mann ist ihm widerwärtig. »Es ist nämlich so«, fährt endlich Jacques Lavendel fort, »daß der Gewittergoi weniger Gewicht auf die Sache legt als auf Äußerlichkeiten, auf richtige Gojim-Naches. Er hält auf Würde.« Jacques macht eine winzige Pause, bevor er diesesWörtchen Würde ausspricht, er legt einen ganz kleinen ironischen Akzent darauf; dennoch ist der Begriff, wie er aus seinem Munde kommt, kahl, zerfressen, lächerlich. Martin ist tief erbittert, daß der Mann da vor ihm wagt, eine Sache, die ihm am Herzen liegt, so elend zu verhöhnen. Der Mann spricht weiter: »Denken Sie, Martin, Herr Wels hat komischerweise einen Narren an Ihnen gefressen. Er will nur mit Ihnen verhandeln, nicht mit Brieger. Er will, daß Sie zu ihm kommen. In Ihrem Laden fühlt er sich offenbar nicht sicher genug.«
    Martin sitzt bequem in einem komfortablen Sessel. Bei Jacques Lavendel hat man keine Oppermann-Möbel, auch keine modernen Möbel, aber bequeme Möbel. Dennoch hat Martin das Gefühl, er sitze nicht sehr fest. Ein Schwindel packt ihn von den Füßen her, es ist wie damals auf seiner ersten Amerikareise, auf dem kleinen Schiff, als der schwere Sturm kam. Nicht schlappmachen. Haltung, Würde. Der Mann da hat zwar gerade Haltung und Würde verhöhnt. Für ihn sind das – Martin, der, im Gegensatz zu den meisten Berlinern, Worte des Jargons vermeidet, weiß plötzlich genau, was Haltung und Würde für seinen Schwager Jacques Lavendel sind: Schmonzes sind es für ihn. Aber nun gerade nicht. Und er läßt sich nicht gehen; kaum, daß er die Lehne des Sessels etwas fester umklammert. »Ich glaube nicht, daß ich bei Herrn Wels vorsprechen werde«, sagt er. Es klingt gehalten, höchstens noch etwas brummiger als sonst. Er sieht den Blick seiner Schwester Klara auf sich gerichtet, es kommt ihm vor, als sei dieser Blick ein wenig mitleidig. Er will ihr Mitleid nicht, er pfeift auf ihr Mitleid. Seine Augen sind plötzlich nicht mehr schläfrig, kaum mehr trüb, sondern voll

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