Die Gesellschaft des Abendsterns
getan. Er liebte es, auf Entdeckungsreise zu gehen. Aber er wusste, dass es äußerst riskant sein konnte, in Fabelheim einfach so in ein verlassenes Haus hineinzustürmen. Geister und Ungeheuer waren hier nicht nur real, sie waren überall. Und es musste einen triftigen Grund geben, warum das Herrenhaus leerstand.
Immerhin war es größer und prächtiger als das Haus, das seine Großeltern bewohnten.
Aber Seth musste herausfinden, wo er war. Die Sonne stand zwar noch immer ziemlich hoch, aber die Abenddämmerung würde unausweichlich kommen, und er wollte nicht noch nach Einbruch der Dunkelheit im Wald sein. Außerdem mussten sich alle schreckliche Sorgen machen. Wenn er in dem Haus irgendetwas darüber herausfinden konnte, wo er war, wäre es das Risiko wert. Und außerdem sah das Herrenhaus von innen bestimmt ziemlich cool aus. Vielleicht gab es dort sogar einen Schatz.
Seth ging vorsichtig auf das Haus zu. Er beschloss, sich ihm langsam zu nähern und beim ersten Anzeichen von Ärger wegzurennen. Der Tag war heiß und still. Wolken von Mücken tanzten über dem Rasen. Seth stellte sich vor, wie Kutschen vor dem Haus anhielten und die Passagiere von uniformierten Dienstboten begrüßt wurden. Aber diese Tage waren längst vergangen.
Er stieg die Treppe zur Vorderveranda hinauf und kam an den Säulen vorbei. Häuser mit Säulen hatten ihm schon immer gut gefallen. Sie wirkten so prächtig, wie echte Herrschaftssitze. Die Haustür stand einen Spaltbreit offen. Seth trat vor das nächstgelegene Fenster. Die grüne Farbe an den Fensterläden begann bereits abzuplatzen. Er zog an den Fensterläden. Sie klapperten zwar, ließen sich aber nicht öffnen.
Seth ging zur Vordertür zurück und drückte sie auf. Da alle Fenster geschlossen waren, war es im Haus stockfinster. Hinter der höhlenartigen Eingangshalle konnte er ein geräumiges Wohnzimmer erkennen. Die Möbel sahen teuer aus, selbst unter ihrer dicken Staubschicht. Alles war vollkommen still.
Seth ging in das Haus und ließ die Tür weit offen stehen. Seine Bewegungen wirbelten den Staub vom Boden auf. Er
war jetzt im Haus, aber es war kaum kühler als draußen in der Sonne. Es roch modrig, mit einem Anflug von Schimmel. Riesige Spinnweben hingen von der hohen Decke herab und verschleierten den Kronleuchter. Er kam zu dem Schluss, dass es wohl besser war, sich zu beeilen.
Eine prächtige Treppe führte von der Eingangshalle in den ersten Stock. Seth stürmte die Treppe hinauf, wobei er mit jedem Schritt noch mehr Staub aufwirbelte und auf dem schäbigen Teppichbelag Fußabdrücke hinterließ. Am oberen Ende der Treppe hing eine Schwarzweißaufnahme von einem Mann und einer Frau. Der Mann sah sehr ernst aus und trug einen Schnurrbart. Die Frau war Lena. Sie sah viel jünger aus als zu der Zeit, als Seth sie gekannt hatte, aber selbst unter der Staubschicht auf dem Glas war sie unverwechselbar. Sie trug ein leichtes wissendes Lächeln zur Schau.
Seth eilte den Flur entlang, bis er auf eine weitere Treppe stieß, die in den zweiten Stock hinaufführte. Der Flur hier oben war schmaler als die unteren, und Seth versuchte, eine der Türen zu öffnen, stellte aber fest, dass sie verschlossen war. Auch die Tür daneben war verschlossen, aber die dritte führte in ein Schlafzimmer. Er eilte zum Fenster, öffnete es und entriegelte die Fensterläden. Der Ausblick war zwar ganz gut, aber Seth konnte nur in eine einzige Richtung sehen, weshalb er beschloss, hinauf aufs Dach zu steigen. Das Dach war so steil, dass er, falls er ausrutschen sollte, wahrscheinlich über den Rand fallen und zwei Stockwerke tief abstürzen würde. Sehr vorsichtig bewegte Seth sich auf den Dachgiebel zu. Das Holz des Dachstuhls knarrte unter seinen Füßen.
Als er oben auf dem Herrenhaus stand, hatte er einen guten Ausblick auf das umliegende Gebiet und erkannte die vier Hügel, die das Tal umrahmten, in das Coulter ihn geführt hatte. Aber er war sich nicht sicher, aus welcher Richtung
er auf die vier Hügel schaute. Langsam drehte er sich um, ließ seinen Blick über den Horizont gleiten und suchte nach Anhaltspunkten. In einer Richtung konnte er etwas sehen, das er für den Anfang des Sumpflands hielt. In einer anderen Richtung erblickte er einen einsamen Hügel. Auf dem Hügel sah er ein Dach über die Bäume lugen.
Warrens Hütte! Das musste sie sein. Von seinem jetzigen Aussichtspunkt konnte er den oberen Teil davon kaum ausmachen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte,
Weitere Kostenlose Bücher