Die Gesellschaft des Abendsterns
Kendra.
»Du siehst müde aus«, erwiderte Seth. »Deine Augen sind schon ganz rot.«
»Vanessa hat mir gestern ein Schlafmittel gegeben, und ich habe den größten Teil des Tages verschlafen. Aber dann war ich die ganze Nacht wach, und heute wollte ich es nicht riskieren, ein Nickerchen zu machen.« Kendra gähnte. »Ich versuche, nicht daran zu denken.«
»Nun, ich habe erst mal ordentlich geschlafen, nachdem Ollock … mich losgeworden ist. Ich glaube, ich müsste die Nacht durchhalten können«, sagte Seth. »Ich gebe dir Recht, dass wir Opa und Oma befreien müssen, aber wir müssen außerdem den Schlüssel finden und ihn von Vanessa fernhalten. Wir müssen das Artefakt beschützen.«
»Nach allem, was wir wissen, könnte sie den Schlüssel bereits haben«, erwiderte Kendra. »Sie könnte sogar das Artefakt haben!«
»Das bezweifle ich. Es dürfte schwer sein, an diesem Wiedergänger vorbeizukommen. Ich meine, das Ding hat mich derart mit purem Entsetzen erfüllt, dass ich vollkommen gelähmt war. Es gab nichts, was ich tun konnte. Aber vielleicht kennt Vanessa ja einen Trick.«
»Ich glaube, für sie ist es auch nicht allzu leicht«, sagte Kendra. »Ich denke, sie hat dich und Coulter als Test-Dummys in den Hain geschickt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie weiß, was sie tut.«
»Nun, wenn sie Coulter hingeschickt hat, könnte sie auch andere hinschicken«, erwiderte Seth. »Sie und dieser Typ, dieser Christopher Vogel, sind hier, um das Artefakt zu holen. Sie werden einen Weg finden, wenn wir sie nicht aufhalten. Und sie könnten dabei allen Schaden zufügen, die sie gefangen haben.«
»Du denkst, wir sollten sie ausspionieren?«
»Auf der Stelle. Solange es noch hell ist. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Kendra nickte. »In Ordnung, du hast Recht.« Sie stand auf und legte Warren eine Hand auf die Schulter. »Wir gehen zum Haus, Warren. Wir werden zurückkommen.« Er lächelte sie mit leerem Blick an.
»Ich kenne ein paar dieser Tränke«, bemerkte Seth und deutete auf die kleinen Fläschchen auf dem Tisch.
»Weißt du, welche Gefühle welche sind?«, fragte Kendra.
»Ich bin mir ziemlich sicher«, antwortete er. »Ich weiß zum Beispiel, dass dieses Zeug da einen klein macht. Unter dreißig Zentimeter groß. Und dieser ist ein Gegenmittel gegen die meisten Gifte. Und dieser macht dich immun gegen Feuer. Oder war das der hier?«
»Weißt du noch, welcher Trank Angst bewirkt?«, fragte Kendra. »Das könnte nützlich sein.«
»Dieser hier ist Angst«, sagte Seth und griff nach einer der Flaschen. »Aber wir sollten sie alle mitnehmen.« Er begann die Tränke in den Beutel zu packen. »Oh, und hier drin ist noch was anderes Wichtiges.« Seth schraubte den Deckel einer kleinen Dose auf. Er tauchte den Finger hinein, und als er ihn herauszog, klebte eine hellgelbe Paste an seiner Fingerspitze. Er lutschte die Paste ab.
»Was ist das?«, fragte Kendra.
»Walrossbutter«, erklärte Seth. »Von einem Walross in einem Reservat in Grönland. Funktioniert wie die Milch. Tanu benutzt sie auf seinen Expeditionen.«
»Hoffentlich haben sie den Schlüssel noch nicht gefunden«, murmelte Kendra. »Opa hat ihn an einem neuen Ort versteckt. Was natürlich bedeuten kann, dass wir ihn vielleicht auch nicht finden.«
»Uns wird schon was einfallen«, sagte Seth voller Überzeugung.
»Aber wir können nicht richtig planen, bevor wir nicht ausgekundschaftet haben, was los ist. Mit dem Handschuh sollte ich in der Lage sein, mich ordentlich umzusehen.«
Kendra ging zur Tür, öffnete sie und sprach mit der Riesenmarionette. »Mendigo, gehorche allen Anweisungen, die Seth dir gibt, als kämen sie von mir.« Dann wandte sie sich wieder zu Seth um. »Bist du so weit?«
»Nur noch eine Sekunde«, sagte Seth, während er vorsichtig die letzten Tränke in den Beutel legte. Den Angsttrank hielt er noch in der Hand. »Ich habe meine Notfallausrüstung verloren, aber dafür einen Beutel mit Zaubertränken und einen Unsichtbarkeitshandschuh bekommen. Ziemlich guter Tausch.«
Sie gingen hinaus. »Mendigo«, befahl Kendra, »trage Seth und mich, so schnell und sicher du kannst, zum Hof, und versuch, dafür zu sorgen, dass niemand uns hören oder sehen kann.«
Die hölzerne Marionette legte sich Seth über eine Schulter und Kendra über die andere. Ohne irgendwelche Anzeichen von Anstrengung zu zeigen, lief Mendigo schnellen Schritts den Pfad hinunter, weg von der Hütte.
In geduckter Haltung und mit vorsichtigen
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