Die Gesellschaft des Abendsterns
dem Schlüssel, um festzustellen, ob vielleicht nur die ersten Stufen unecht waren. Fehlanzeige.
Warren ging, gefolgt von Kendra, die kreisrunde Mauer entlang, die die Grube begrenzte, und klopfte den Boden und die Wände ab. Schließlich kamen sie an eine Stelle, an der der Schlüssel sich durch die Wand schieben ließ. Warren beugte sich nach vorn, und Kendra hörte ihn mit dem Schlüssel klopfen.
»Hier ist die echte Treppe«, verkündete er. Kendra ging durch die nicht vorhandene Wand und sah eine steinerne Treppe, die in die Tiefe führte. Weißliche, in die Wände eingelassene Steine gaben ein weiches Licht ab.
»An Orten wie diesem weiß man nie, ob etwas nur eine Illusion ist«, sagte Warren. Er untersuchte einen der leuchtenden Steine mit dem Schlüssel. »Hast du schon einmal einen Sonnenstein gesehen?«
»Nein«, antwortete Kendra.
»Solange er in der Sonne liegt, gibt er das einfallende Licht an seine Schwestersteine weiter«, erläuterte er. »Der Stein liegt wahrscheinlich auf einem der Hügel ganz in der Nähe.«
Sie gingen die Treppe hinunter, und immer wieder kamen sie an Stellen, an denen unechte Stufen Lücken in der Treppe verbargen. Warren half Kendra, über die Lücken hinwegzuspringen. Schließlich erreichten sie das Ende der Treppe, wo sie eine weitere Tür vorfanden.
Wieder ließ Warren Kendra zur Seite treten, während er die Tür öffnete. »Seltsam«, murmelte er und prüfte den Boden. Dann trat er durch die Tür. »Komm, Kendra.«
Sie lugte durch die Tür. Der Raum war groß, rund und hatte eine Kuppeldecke. Weiße, in die Decke eingelassene Steine beleuchteten den Raum. Tiefer goldener Sand bedeckte den Boden. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums war eine Tür auf die Wand gemalt. An der linken Seite schmückten Gemälde von drei Ungeheuern die Wand, und auf der rechten befanden sich noch einmal drei. Kendra sah eine blaue Frau mit sechs Armen und dem Körper einer Schlange, einen Minotaurus, einen riesigen Zyklopen, einen Mann mit einer Haut, schwärzer als die Nacht, der von der Taille aufwärts wie ein Mensch aussah und von der Taille abwärts den Körper und die Beine einer Spinne hatte, ferner einen schlangenähnlichen Mann in einer Rüstung mit einem reich verzierten Helm und einen Zwerg in einem Kapuzenumhang. Die Bilder waren zwar ein wenig verblichen, aber mit ungeheurer Kunstfertigkeit gemalt.
Warren hob die Hand und gebot Kendra stehen zu bleiben. Der Schlüssel sank in den Sand vor ihm. »Es gibt Stellen, an denen der Sand trügerisch ist«, sagte er. »Pass auf, wo du hintrittst.«
Um nicht im Treibsand zu versinken, nahmen sie einen Umweg zu der gemalten Tür auf der gegenüberliegenden
Seite des Raums. Das Gemälde zeigte eine Tür aus massivem Eisen mit einem Schlüsselloch unter der Klinke. Zögernd berührte Warren das Gemälde. Es flimmerte für einen Moment, dann wurde die Tür real.
Warren fuhr herum, den Schlüssel hoch erhoben, und beobachtete die anderen Wandgemälde. Nichts geschah. Schließlich drehte er sich wieder zu der Tür um und versuchte, die Klinke herunterzudrücken. Die Tür war abgeschlossen. »Fällt dir etwas auf, das alle Kreaturen an der Wand gemeinsam haben?« , fragte Warren.
Kendra konzentrierte sich auf die Bilder. »Einen Schlüssel um den Hals«, antwortete sie. Die Schlüssel waren nicht besonders auffällig. Sie waren klein und fast durchsichtig, aber jedes Wesen besaß einen.
»Irgendwelche Theorien darüber, wie wir durch die Tür kommen?«, fragte Warren, der offensichtlich bereits eine Antwort im Sinn hatte.
»Sie machen Witze, oder?«, sagte Kendra.
»Ich wünschte, es wäre so«, erwiderte er. »Die alten Knaben, die sich das hier ausgedacht haben, wussten schon, was sie tun mussten, damit hier niemandem langweilig wird.« Er führte Kendra an der Wand entlang durch den Raum, wobei er vorsichtig den Treibsand mied, und musterte jedes einzelne Gemälde.
»Die Schlüssel scheinen mir identisch zu sein«, sagte er, nachdem er den Zwerg betrachtet hatte. »Ich denke, das Spiel besteht darin, auszuwählen, von welchem Feind wir glauben, dass wir ihn überwältigen können.«
»Ich bin nicht gerne so gemein«, sagte Kendra, »aber ich denke, es ist der Zwerg.«
»Den würde ich als Letztes auswählen«, widersprach Warren. »Er hat keine Waffe bei sich, was mich zu der Vermutung führt, dass er ein umso gefährlicherer Magier sein
muss. Auf den ersten Blick sieht er wie der harmloseste Gegner aus, was beinahe mit
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