Die Gesellschaft des Abendsterns
Beerdigungsunternehmens hinter ihnen wurde kleiner. »Da drinnen gab es einen Hund?«, fragte Errol. »Archibald muss ihn ziemlich gut versteckt halten. War er groß?«
»Riesig«, antwortete Seth. »Einer von diesen Hunden, die aussehen wie ein übergroßer Wischmopp. Sie wissen schon, mit Fell, das die Augen komplett verdeckt.«
»Ein Komondor?«, fragte Errol. »Du hattest Glück; diese Rasse kann ausgesprochen unfreundlich zu Fremden sein. Sie kommen aus Ungarn. Ursprünglich wurden sie dazu gezüchtet, Vieh zu bewachen.«
»Ich habe einen auf nett gemacht und ihm die Hälfte von dem Hundekuchen gegeben«, erklärte Seth. »Und die Statue hat mich gebissen!«
»Ist es schlimm?«, wollte Kendra wissen.
»Nein.« Seth hielt den Daumen hoch. »Es blutet kaum.«
»Ich hätte dich warnen sollen«, meinte Errol. »Sobald die Statue frisst, wird sie vorübergehend aggressiv. Kein Grund zur Sorge, aber sie neigt dazu, einen anzuknabbern.«
»Sagen Sie die Wahrheit: Sie wussten von dem Hund, nicht wahr?«, sagte Seth anklagend.
Errol runzelte die Stirn. »Was bringt dich auf diese Idee?«
»Warum hätten Sie mich sonst mit einem Hundekuchen da reingeschickt? Für die Statue hätten Sie mir irgendwas geben können. Ich denke, Sie haben befürchtet, dass ich vielleicht nicht reingehen würde, wenn Sie mir von dem Hund erzählen.«
»Es tut mir leid, Seth«, erwiderte Errol. »Ich versichere
dir, dass der Hundekuchen ein Zufall war. Warum sollte ich dich vor Untoten warnen, aber einen Hund verschweigen?«
»Gutes Argument«, gab Seth zu. »Zumindest habe ich keine Zombies gesehen. Das hat es um einiges leichter gemacht.«
»Also, wie wird diese Statue uns den Klabauter vom Hals schaffen?«, fragte Kendra.
»Dafür«, antwortete Errol, »braucht ihr lediglich meine Anweisungen zu befolgen.«
KAPITEL 4
Vanessa
A m nächsten Morgen war das Klassenzimmer bereits von stetigem Gemurmel erfüllt, lange bevor es klingelte. Die Schüler hatten sich nicht zu den üblichen, immer gleichen Gruppen zusammengefunden. Stattdessen saßen die Kinder, die immer die besten Noten bekamen, hier und da im Raum verteilt und gingen ihre Notizen durch. Die anderen hatten sich in Trauben um sie geschart und versuchten, letzte Informationen zu erschleichen, in der Hoffnung, dass ihnen ihre Bemühungen vielleicht ein paar zusätzliche richtige Antworten bei der bevorstehenden Prüfung einbringen würden.
Alyssa wich Sasha Goethe nicht von der Seite und ließ sich etwas über Biologie erzählen. Alyssa hatte immer gute Zensuren, aber sie machte sich trotzdem eine Menge Sorgen. Kendra sah den nahenden Prüfungen gelassen entgegen. Sie zählten nicht so viel wie die, die sie im nächsten Jahr auf der Highschool ablegen würden, und sie hatte das ganze Jahr über alle Hausaufgaben gemacht und alles gelesen, was ihnen aufgegeben worden war. Außerdem hatte sie ihre Notizen durchgesehen und sich ihre alten Tests noch einmal angeschaut. Trotz der Ablenkung durch die Exkursion zur Leichenhalle am vergangenen Abend war sie unbesorgt.
Außerdem gingen ihr wichtigere Dinge im Kopf herum. Der schorfige Klabauter war der einzige andere Schüler im Raum, den die kommenden Prüfungen kaltzulassen schienen. Was irgendwie logisch war, wenn man bedachte, dass er
sie nicht würde ablegen müssen. Er saß mit gefalteten Händen an seinem Pult. Hinter Mrs. Prices Pult saß Mr. Reynolds, der vor der Zeit kahl gewordene Vertretungslehrer vom Vortag.
Vor Kendra lag ein eingewickeltes Päckchen. Auf dem Geschenkpapier waren Rentiere und Schneeflocken abgebildet. Sie hatte es auf einem Regal in einem Schrank gefunden; ein Überbleibsel des vergangenen Weihnachtsfests. In dem Papier befand sich ein Schuhkarton, und in dem Karton lag die gestohlene Statue.
Bevor Errol Kendra und Seth am vergangenen Abend in der Nähe ihres Hauses abgesetzt hatte, hatte er ihnen erklärt, wie sie vorgehen sollten. Die kleine Statue war anscheinend eine Art Heiligtum der Klabauter. Sobald ein Klabauter sie in die Finger bekam, war er gezwungen, sie zu dem Schrein zurückzubringen, in den sie gehörte, tief verborgen im Himalaja. Errol hatte außerdem betont, wie gierig Klabauter auf Geschenke seien, deshalb brauchten sie die Statue lediglich wie ein Geschenk einzupacken und ihm zu überreichen. Alles andere würde sich dann von selbst ergeben.
Es klang beinahe zu einfach, um wahr zu sein. Aber Kendra hatte in Fabelheim gelernt, dass mächtige Zauber manchmal mit simplen Methoden
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